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Fachärztin für Gynäkologie, die seit der Jugend das Segeln zum Hobby hat. Seit 2011 segelt sie mit ihrem Partner Martin in den Urlauben die gemeinsame Swan 48 VELLAMO, die im Sommer auch für den Kojencharter-Anbieter Segelwege.de unterwegs ist. Dazwischen ist sie immer wieder auf anderen Yachten und in wechselnden Revieren entlang der europäischen Küsten anzutreffen.
Das Übel mit der Seekrankheit
Ein stahlblauer Himmel und strahlender Sonnenschein gepaart mit einer frischen Backstagbrise lassen eigentlich einen wunderbaren Segeltag vermuten. Für den Skipper mag das zutreffen, aber die Crew genießt die perfekten Bedingungen auf dem IJsselmeer nur bedingt. Irgendwie ist die See ruppig, setzt den Mitseglern zu. Drei von ihnen hängen bereits in den Seilen und müssen sich regelmäßig übergeben. Der einwöchige Chartertörn beginnt unglücklich.
Jeder Segler hat vermutlich schon mal eine ähnliche Situation erlebt. Plötzlich geht das Konzept vom Happy Sailing nicht mehr auf und das an-Bord-sein wird für manche Segler durch die Seekrankheit zur Qual. Dabei muss es gar nicht immer so weit kommen. Vielmehr gibt es durchaus einige Möglichkeiten der Seekrankheit vorzubeugen. Dieser Beitrag soll helfen, Seekrankheit zu verstehen und Mittel und Wege aufzeigen, wie man sie behandeln und vermeiden kann.
Wer wird seekrank?
Seekrankheit betrifft im Durchschnitt 20 bis 30 Prozent der Menschen regelmäßig und keinesfalls nur die Neulinge auf dem Wasser. Auch erfahrene Seefahrer können seekrank werden.
Die Symptome sind sehr unterschiedlich ausgeprägt und treten zu unterschiedlichen Zeitpunkten ein. Manch einem Segler reicht schon ein leichtes Schwanken im Hafen, andere sind bis zu höchstem Seegang seefest.
Aus Studien wissen wir, dass Alter und Geschlecht eine Rolle spielen. Jüngere Menschen, insbesondere Kinder zwischen dem sechsten und zwölften Lebensjahr, sind anfällig. Säuglinge und Kleinkinder, die noch nicht laufen können, werden gar nicht seekrank. Mit zunehmendem Alter sinkt das Risiko für Seekrankheit wieder. Auch werden Frauen häufiger seekrank als Männer.
Was ist Seekrankheit?
Seekrankheit fällt in die Kategorie der Bewegungskrankheiten. Diese sogenannten Kinetosen bezeichnen einen Symptomenkomplex, der durch nicht übereinstimmende Sinneseindrücke verursacht wird. Das wissenschaftliche Modell dahinter nennt man „sensorisches Konfliktmodell“ oder auch „mismatch theory“. Je stärker eine Person auf die Bewegungskonflikte reagiert, desto anfälliger für die Seekrankheit ist sie.
Wie entsteht Seekrankheit?
An der Orientierung und Bewegung unseres Körpers in der Welt sind in erster Linie drei Systeme beteiligt, die beispielsweise auch dafür sorgen, dass wir nicht umfallen, wenn wir uns bewegen. Die drei Systeme sind:
Das Auge (visuelles System)
Das Auge (visuelles System) zeigt uns, wo wir uns im Raum befinden und ob die Umgebung sich bewegt.
Das Innenohr mit dem Gleichgewichtssystem (vestibuläres System)
Das Innenohr vermittelt uns über zwei unterschiedliche Systeme (Bogengänge und Makulaorgan), wie wir uns beschleunigen. Die Bogengänge sind dabei für die Wahrnehmung der Drehbewegung unseres Kopfes zuständig. Diese drei Gänge sind angeordnet wie drei Seiten eines Würfels und mit einer Flüssigkeit gefüllt. Drehen wir uns beispielsweise auf einem Drehstuhl um die eigene Achse, vermitteln die Bogengänge diese Bewegung. Machen wir das lange genug und halten dann an, bewegt sich die Flüssigkeit in den Bogengängen zunächst weiter, sodass wir das Gefühl haben, uns in die entgegengesetzte Richtung zu drehen.
Das Makulaorgan im Innenohr vermittelt über kleine Kristalle, den sogenannten Otholiten, lineare Beschleunigungen. Also Bewegungen nach vorne, hinten, oben oder unten, links oder rechts.
Die Wahrnehmung der Stellung des Körpers im Raum (propriozeptives System)
Die Wahrnehmung der Stellung des Körpers im Raum erfolgt über Sensoren in Muskeln, Gelenken und Haut.
Das Zusammenspiel der Systeme
Normalerweise ergänzen sich alle drei Systeme ohne Widersprüche, da sie zusammenpassende Signale aussenden. Wer ein Auto steuert, sieht mit dem Auge, wohin das Fahrzeug fährt, und das steht im Einklang mit den Bewegungsinformationen aus dem Ohr. Außerdem weiß der Fahrer, wann er auf das Gaspedal drückt und so das Fahrzeug beschleunigt. Die Systeme sind also im Einklang und melden identische Informationen.
Bei Seekrankheit fehlt dieser Einklang und es kommt zu unterschiedlichen Informationen aus den einzelnen Sinnesorganen, die das Gehirn verwirren und zu einem Konflikt und Stress führen.
Bei den Konflikten gibt es zwei verschiedene Kategorien: Typ-A-Konflikte basieren auf widersprüchlichen Informationen zwischen Gleichgewichtsorgan und Auge. Typ-B-Konflikte kommen durch Widersprüche im Gleichgewichtsorgan selbst zustande. Beide sind relevant für die Seekrankheit.
Kategorie-A-Konflikte bei der Seekrankheit
Für die Seekrankheit sind im Wesentlichen zwei Varianten dieses Konfliktes relevant. Bei der einen Variante senden die Augen und das Gleichgewichtsorgan beide Bewegungssignale, diese sind aber nicht identisch. So etwas passiert beispielsweise, wenn eine Person die Wellenbewegung etwas weiter weg anschaut und sich diese von der Bewegung des Schiffes unterscheidet.
Bei der anderen Variante meldet das Gleichgewichtsorgan eine Bewegung und das Auge nicht. Dies kann unter Deck der Fall sein, wenn jemand ein Buch liest oder am Kartentisch arbeitet. Das Gleichgewichtsorgan nimmt dann weiter den Seegang und die damit im Zusammenhang stehenden Bewegungen der Yacht wahr, während das Auge einen ruhigen Raum sieht, auf das Buch oder die Seekarte fixiert ist und keine Bewegung meldet.
Kategorie-B-Konflikte bei der Seekrankheit
Die Kategorie B beschreibt sensorische Konflikte, die aus dem Innenohr selbst kommen und an denen das Auge nicht beteiligt ist. Dabei senden Bogengänge und Makulaorgan unterschiedliche Signale. Ein Beispiel zum selber Ausprobieren ist es, sich auf einem Drehstuhl um die eigene Achse zu drehen. Das funktioniert soweit gut, weil das Innenohr die Drehbewegung gut erfassen kann. Wer nun anfängt zusätzlich langsam mit dem Kopf zu nicken, sorgt plötzlich für Verwirrung im Ohr, weil widersprüchliche Informationen entstehen.
Insbesondere bei langsamen Bewegungen, wie dem Auf und Ab eines Segelbootes auf der See, sind die Signale oft nicht eindeutig genug, sodass es hier verstärkt zu Konflikten kommt. Bei schnellen Bewegungen hingegen wird anfälligen Personen normalerweise nicht oder viel seltener schlecht. Etwa beim Mountainbike- oder Karussellfahren.
Lässt die Seekrankheit mit der Zeit nach?
Allen Modellen gemeinsam ist ein wichtiger Punkt – die Gewöhnung. Vielleicht ist das sogar der wichtigste Punkt beim Thema Seekrankheit. Nach einigen Tagen gewöhnt sich der Körper an die widersprüchlichen Signale und empfindet die Bewegung als normal.
Nach längeren Seestrecken macht sich das häufig bemerkbar. Nach dem Landfall schwankt dann plötzlich das Land, wenn wir uns an einem ruhigen Ort befinden. Dieser Effekt wird medizinisch als Mal-de-Débarquement-Syndrom bezeichnet. Am eindrucksvollsten zu spüren ist das dann in geschlossenen Räumen. Viele Segler kennen das Phänomen der schwankenden Dusche nach einem längeren Törn.
Welche Rolle spielt der Botenstoff Histamin bei der Seekrankheit?
Neben den Bewegungskonflikten spielt beim Thema Seekrankheit der körpereigene Stoff Histamin eine Rolle. Aus Studien wissen wir, dass bei verstärkter Bewegung und Stress der Histaminspiegel steigt. Auch ist schon lange bekannt, dass eine medikamentöse Therapie mit Antihistaminika die Symptome der Seekrankheit lindert. Histamin hat zudem eine Wirkung auf den Magen-Darm-Trakt und das Herz-Kreislauf-System. Das lässt den Schluss zu, dass Histamin als Botenstoff eine tragende Rolle bei Seekrankheit spielt.
Der Mensch produziert Histamin einerseits selber und nimmt es andererseits über die Nahrung auf. Folglich ist es zur Vermeidung von Seekrankheit ratsam, den Histaminspiegel möglichst niedrig zu halten. Ein Baustein ist dabei die Ernährung. Lebensmittel wie Rotwein, Käse, Nüsse, Tomaten, Erdbeeren und leider auch Schokolade sind histaminsteigernde Lebensmittel. Stress lässt den Histaminspiegel ebenfalls ansteigen.
Wie äußert sich Seekrankheit?
Frühe Anzeichen der Seekrankheit sind Müdigkeit, Trägheit, Rückzug und Desinteresse der betroffenen Person. Oft nimmt der Betroffene dies allerdings selbst nicht wahr. Hier ist also ein aufmerksamer Skipper hilfreich, um die ersten Anzeichen zu erkennen. Fangen vermehrt Mitsegler an zu gähnen und sich auf den Cockpitbänken lang zu machen, kann dies ein Indiz sein.
Außerdem sind ein vermehrter Speichelfluss, Kopfschmerzen, Kaltschweißigkeit und Blässe ebenfalls Zeichen von Stress für den Körper. Im Verlauf kann es dann zu Übelkeit und Erbrechen kommen – bis hin zu vollkommener Lethargie und Vernichtungsgedanken. Es gibt immer wieder mal Berichte von Personen, die den Drang verspürten über Bord zu springen und von der Crew davon abgehalten werden mussten. Etwas drastischer drückt es ein Zitat aus:
Wer seekrank ist, hat Angst zu sterben, und wer richtig seekrank ist, hat Angst am Leben zu Bleiben
Wie kann ich Seekrankheit behandeln?
Gleich vorweg: Am wirksamsten ist es, mit verschiedenen Maßnahmen und Tricks vorzubeugen. Nichtsdestotrotz gibt es auch Mittel und Wege, eine bereits vorhandene Übelkeit zu behandeln.
Auf dem Markt im In- und Ausland gibt es eine Reihe von Medikamenten, die über unterschiedliche Wirkungsmechanismen die Symptome lindern. Allen voran Antihistaminika, die den Histaminspiegel senken. Einer der bekanntesten, rezeptfrei zu erwerbenden Wirkstoffe ist Dimenhydrinat. Er ist beispielsweise im Produkt Vomex enthalten.
Auch wissen wir, dass Vitamin C in ausreichender Höhe den Histaminspiegel senkt. Daher hilft es, dieses zu sich zu nehmen. Am einfachsten geht das über einen Vitamin-C-haltigen Kaugummi, wie das SEAGUM, der den Vitamin-C-Spiegel zügig ansteigen lässt. Vitamin C macht auch im Gegensatz zu den meisten anderen Medikamenten nicht müde und es wird der Kaubewegung selbst nachgesagt, dass sie Übelkeit reduziert.
Eine umfangreiche Medikamentenliste steht unter diesem Link zum Download bereit.
Wie kann ich Seekrankheit vermeiden?
Der einfachste Weg, nicht mehr seekrank zu werden, wäre, nicht mehr segeln zu gehen. Aber das ist vermutlich keine wirkliche Option. Hilfreicher ist eine Lösung nach dem Motto:
Vorbeugen ist besser, als auf die Schuhe zu kotzen
Medizinische Ansätze
Wer von sich weiß, dass er oder sie schnell seekrank wird, sollte Medikamente oder Vitamin C bereits sechs bis zwölf Stunden vor dem Törn einnehmen, da diese dann den größten Effekt beim Törnstart haben.
Auch das prophylaktische Tragen von Akupressurbändern (Sea-Band) oder Akupunkturnadeln (Dauernadeln) im Ohr kann einen positiven Effekt auf den Körper haben. Statt ein Akupressurband zu tragen, kann auch der Nei-Kuan-Punkt mit dem Finger massiert werden.
Seekrankheits-Prophylaxe: vorausschauende Planung
Da es, wie erwähnt, einen hohen Gewöhnungseffekt gibt, kann es hilfreich sein, vor einem langen Schlag eine Nacht vor Anker zu verbringen, um den Körper schon mal an die Schiffsbewegungen zu gewöhnen.
Um den Histaminspiegel zu senken, sollte ein verantwortungsvoller Skipper seine Crew nach einem passenden Abendessen (kohlenhydrathaltig, aber fettarm, und nicht zu viel) früh ins Bett schicken. Ausgeschlafen, nüchtern und mit einem hohen Vitamin-C-Spiegel sind die Mitsegler ideal auf den Törn vorbereitet.
Erfahrungsgemäß machen allerdings nicht wenige Segler genau das Gegenteil. Meist kommt die Crew nach einer stressigen Anreise abends an Bord an und sitzt dann gut gelaunt bis tief in die Nacht mit reichlich Alkohol im Hafen im Cockpit. Morgens springen dann alle früh raus, um Strecke zu machen (es ist ja nur eine Woche Urlaub). Wenn dann noch die ungewohnten Bewegungen dazu kommen, ist Unwohlsein und Übelkeit vorprogrammiert. Die Crew hatte dann zwar einen netten ersten Abend, der für den nächsten Tag aber leider völlig kontraproduktiv war. Daher sollte die Welcome-Party besser auf den zweiten Abend verschoben werden.
Unter Deck werden anfällige Personen tendenziell eher seekrank als an Deck, weil der oben beschriebene Konflikt A dann verstärkt auftritt. So gesehen ist es ratsam, bis zu einer gewissen Gewöhnung grade zu Törnbeginn den Gang unter Deck zu vermeiden. So könnte beispielsweise die Routenplanung am Abend vorher im Hafen oder vor Anker gemacht werden. Es werden alle Wegpunkte eingegeben, Seekarten rausgesucht, Hafenbeschreibungen gelesen und vielleicht ein Tablet für die elektronische Navigation an Deck vorbereitet und geladen.
Damit sind wir erstens gut vorbereitet, was für Entspannung sorgt, und zweites müssen wir uns während des Segelns nicht länger unter Deck aufhalten, um am Kartentisch bei wackelndem Boot die Wegpunkte ins GPS einzugeben oder etwas nachzulesen.
Seekrankheits-Prophylaxe: Nahrungsaufnahme
Vor längeren Stecken empfiehlt es sich, Mahlzeiten vorzubereiten. Einer Person mit gefülltem Magen wird seltener schlecht als einer Person mit leerem Magen. Ein paar belegte Brote zu schmieren, ist schnell gemacht. Auch lässt sich eine Fertigsuppe in einer Thermoskanne vorbereiten und wirkt unterwegs Wunder.
Studentenfutter mit Nüssen klingt womöglich auch nach einer einfachen Idee, um zwischendurch mal eben schnell den Magen zu füllen. Allerdings enthält es recht viel Histamin. Das gleiche gilt leider auch für Schokolade. Salzstangen, Kekse und Kräcker sind daher besser geeignet als Snack zwischendurch.
Für längere Strecken oder bei Törns mit schlechtem Wetter können Gerichte vorgekocht und in Thermobehältern sehr lange warmgehalten werden. Ein warmes Essen duftet meist auch gut. Und gute Gerüche führen zu weniger Unwohlsein. Schlechte Gerüche hingegen wie etwa Dieselgeruch fördern dagegen die Übelkeit. Wer sich bei negativen Gerüchen unter Deck aufhalten muss, strapaziert seine Sinnessysteme ordentlich.
Seekrankheits-Prophylaxe: Flüssigkeitszufuhr
Ein oft vergessener Punkt ist, für ausreichend Flüssigkeitszufuhr zu sorgen, insbesondere auch, weil der Bedarf an Bord deutlich höher als an Land ist. Das kommt unter anderem durch den Wind, die Sonneneinstrahlung und die dauerhafte Bewegung der Yacht.
Wasser, Tee oder Säfte sind gut geeignet. Wenn der Magen immer etwas mit ihnen gefüllt ist, hilft das deutlich, der Seekrankheit vorzubeugen. Bei uns an Bord ist es üblich, dass jeder Mitsegler eine eigene Flasche bekommt, um einen Überblick zu behalten, wie viel getrunken wird. Paare neigen oft dazu, sich eine Flasche zu teilen, und dann verlieren sie das Gefühl für die aufgenommenen Mengen.
Leider haben vor allem Frauen oft die Sorge, dass sie, wenn sie viel trinken, häufiger auf die Toilette müssen – was in der Regel einen Gang unter Deck bedeutet. Für so manche Seglerin sorgt der Gedanke, sich unter Deck aus dem Ölzeug schälen zu müssen, bereits für Anflüge von Übelkeit.
Achtung! Wer aus Angst vor dem Toilettengang zu wenig trinkt, handelt eher kontraproduktiv. Denn, je weniger ich trinke, desto konzentrierter ist der Urin, desto gereizter ist die Blase, desto häufiger muss ich auf die Toilette. Und zudem wird einer Person schneller schlecht, wenn ihr Magen nichts drin hat. Auch sinkt das allgemeine Wohlbefinden bei verminderter Flüssigkeitszufuhr. Daher: auf das Trinkverhalten achten!
Tipp: Hilfreich ist es bei Gruppen, wenn jedes Crewmitglied eine eigene Flasche bekommt, die mindestens an dem Tag geleert werden muss. So entsteht ein guter Überblick über die Trinkmenge.
Wer dann trotzdem irgendwann unter Deck beim Gang auf die Toilette aus seinem Ölzeug raus muss, kann dies zur Entspannung der Sinne im Liegen machen. Für Frauen gibt es inzwischen auch Hosen, bei denen sich der hintere Teil bequem herunterklappen lässt. Damit wird ein mühsames „Aus-dem-Ölzeug-schälen“ überflüssig. Und nicht zuletzt kann, wenn der Seeraum es erlaubt, auch einfach mal kurz beigedreht werden. Das bringt Ruhe an Bord.
Und mal ehrlich, auch wenn in jedem Seemannschaftsbuch steht, dass die häufigste Ursache für das Über-Bord-Gehen das Über-Bord-Pinkeln ist, so ist es für die Männer im Falle von Seekrankheit meist doch die einfachste Variante sich zu erleichtern – gut gesichert, versteht sich!
Seekrankheits-Prophylaxe: Kleidung
Die Kleidung sollte dem Wetter angepasst sein. Dabei gilt es zu bedenken, dass wir kursabhängig unterschiedlich starken Wind an Bord verspüren und gegebenenfalls auf Amwind-Kursen schneller auskühlen als auf Kursen mit achterlichem Wind, weil der scheinbare Wind an Bord stärker ist.
Frieren ist Stress für den Körper, hebt den Histaminspiegel und ist daher kontraproduktiv. „Warm anziehen“ lautet daher die Devise. Warme Socken helfen und eine Mütze ist ein essentielles und sehr hilfreiches Kleidungsstück, weil am Kopf ein Großteil der Körperwärme verloren geht. Ich bin schon ganze Törns mit kurzer Hose, aber Mütze auf dem Kopf gesegelt. Nochmal: Alle stressauslösenden Faktoren sollten soweit möglich reduziert werden, da auch damit der Histaminspiegel sinkt.
Seekrankheits-Prophylaxe: Sinneskonflikte reduzieren
Um die Sinne zu beruhigen, hilft über Deck oft das Betrachten des Horizontes oder der herannahenden Wellen. So kann sich der Körper auf die Bewegung einstellen. Der Effekt tritt auch beim Rudergehen ein. Wir haben das Steuer in der Hand und stellen uns unbewusst damit besser auf die Schiffsbewegungen ein. Die Wahrnehmung von Auge und Innenohr stimmt dann wieder überein.
Hinlegen hilft auch, um die Sinne zu stabilisieren. Am besten liegt es sich mittschiffs unter Deck. Dort sind die Bewegungen am geringsten, weil sich hier der Drehpunkt der Yacht befindet. Wer in dieser Lage die Augen zumacht, schaltet ihren Input ab. Außerdem senden die Lagerezeptoren im Innenohr im Liegen weniger Signale aus.
Wer in der Position einschläft, macht dann alles richtig. Während des Schalfens sinkt der Histaminspiegel von ganz alleine. Effekt: Wer schläft, wird nicht seekrank. Beim Wachwerden ist die Übelkeit dann oft sogar weg – sofern sie vorher überhaupt vorhanden war. Das funktioniert in den meisten Fällen auch im Cockpit.
Einige Segler schwören darauf, einen Ohrstöpsel im Ohr zu tragen. Und zwar nur in einem Ohr! Durch die Blockade des einen Ohres soll angeblich das Sinnesorgan „stillgelegt“ werden. Das Gehirn hat dann soviel mit den unterschiedlichen Ohrsignalen zu tun, dass es die anderen Sinne quasi ausblendet. Belastbare Daten gibt es dazu nicht, aber einen Versuch ist es sicher wert.
Seekrankheits-Prophylaxe: gute Stimmung an Bord
Einen großen Anteil am Wohlbefinden an Bord hat die Psyche. Beispielsweise ist Angst kein guter Partner, da dann die Stresshormone steigen und damit auch der Histaminspiegel. Hier ist der Skipper gefragt. Seine Aufgabe ist es, für Entspannung und gute Stimmung an Bord zu sorgen. Eine gründliche Creweinweisung hilft, Ängste abzubauen – ebenso das Teilen von Informationen über den weiteren Törnverlauf. Wenn jeder Mitsegler weiß, was ihn erwartet, wird Ängsten und der damit verbundenen Ungewissheit der Nährboden entzogen.
Außerdem helfen gute Laune, lachen und singen. Zur Erheiterung kann auch eine banale Witze-CD beitragen. Ich kenne auch Crews, die mit Après-Ski-Musik durch ruppiges Wetter gesegelt sind. Das ist vielleicht nicht jedermanns Sache, aber hier heiligt der Zweck die Mittel 🙂
Ganz wichtig: Fragen nach dem Motto „Und? Geht’s Dir noch gut? Ist Dir schon schlecht?“ oder das permanente Thematisieren der Seekrankheit sind wenig hilfreich. Wenn ich nur oft genug nachfrage, bekomme ich damit jede Person seekrank. Das ist kontraproduktiv. Viel wichtiger ist es, dem Hirn klar zu machen, dass alles gut ist und es sich nur um Sinneseindrücke handelt.
Fazit
Das Thema ist sehr facettenreich und vielschichtig. Und dennoch gilt am Ende die Devise: entspannt bleiben! Seekrankheit wird mit der Zeit besser und geht bei fast allen Menschen nach einigen Tagen vollständig weg. Und bis dahin nutzen wir einfach alle Optionen, die wir haben und freuen uns über die Zeit danach.
Und sollte einer Person doch so schlecht werden, dass sie sich übergeben muss, gilt es, davor keine Angst zu haben. Den meisten Menschen geht es nach dem Spucken nämlich erstmal wieder deutlich besser und das ist doch auch was.
Zum Abschluss sei noch erwähnt, was ein Skipper auf hoher See einst zu einem Mitsegler gesagt haben soll:
Soll ich dir deine Portion des Essens auf einen Teller füllen oder gleich über Bord werfen?