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Dr. Meeno Schrader ist Diplom-Meteorologe, TV- und Hörfunk-Wetterexperte sowie Wetterrouter und -berater. Zudem ist der an der Nordsee aufgewachsene Fahrten- und Regattasegler mit mehr als 50.000 Seemeilen im Kielwasser Gründer der WetterWelt GmbH, die mit rund 20 Mitarbeitern weltweit Wassersportler und die Berufsschifffahrt berät.
Ein Gewitter an Bord zu erleben, ist nicht schön
Gewitter sind für mich nach Nebel die zweitunangenehmsten Wetterbedingungen. Nach Möglichkeit sollte man sie irgendwie meiden, aber das gelingt bei Weitem nicht immer.
Was macht Gewitter so gefährlich?
- Blitzschlag (Elektrik/Elektronik und auch der Mensch können Schaden nehmen, Blitz kann durch den Rumpf schlagen)
- Harte, plötzliche Böen zwischen neun und zwölf Beaufort (nach Jahreszeit und Ort) fallen ein.
- Es besteht die Möglichkeit für die Bildung von Wasserhosen.
- Es kann eine extrem schlechte Sicht geben (Starkregen, Hagel).
Anmerkung: Diese Wettererscheinungen und Gefahren gehen bei Weitem nicht mit jedem Gewitter einher!
Aufgrund ihrer Entstehung unterscheidet man zwischen Frontgewitter und Wärmegewitter
Frontgewitter
Der Name sagt es schon: Frontgewitter entstehen entlang von Luftmassengrenzen. Meist sind es Kaltfronten und innerhalb eines Troges, wo sich die heftigsten Frontgewitter bilden. Auch Okklusionen können Gewitter bringen, sehr viel seltener entstehen sie innerhalb von Warmfronten. Frontgewitter wandern mit der Front also auch mit deren Geschwindigkeit. Hierdurch können sie relativ schnell näherkommen (aber auch wieder abziehen!).
Ein Kaltfrontgewitter bewegt sich auf der Nordhalbkugel in den meisten Fällen von West nach Ost und wird häufig von Sturmböen aus West bis Nordwest begleitet. Frontengewitter bestehen aus einer Aufreihung von Gewitterwolken, die nur wenige Lücken lässt. Ein Ausweichen/Umfahren ist sehr schwierig bis nahezu unmöglich.
Wärmegewitter
Ist die Luft sehr warm und feucht (schwül) und scheint zudem die Sonne intensiv, kann es auch ohne Fronten zu Gewittern kommen. Es sind die klassischen Wärmegewitter, die aus zunächst völlig harmlos aussehenden Quellwolken entstehen können. Die am Vormittag normale Cumuluswolke beginnt alsbald, sich in ihrer Entwicklung zu unterscheiden. Das Wachstum kann so heftig erfolgen, dass man die Quellung mit bloßem Auge verfolgen kann.
Dazu muss zunächst die Erdoberfläche erhitzt oder zumindest stark erwärmt sein (intensive Sonneneinstrahlung oder sehr warmes Wasser). Ist die Luft darüber sehr viel kühler, ermöglicht die große Instabilität der Atmosphäre der feuchten Warmluft, in größtmögliche Höhen aufzusteigen. Der Aufstieg erfolgt bis an die Tropopause, den Oberrand der Troposphäre. Dieser platte Rand markiert eine obere Grenze, die die Wolken in der Regel nicht durchstoßen können. Der dabei entstehende „Amboss“ zeichnet die vollentwickelte Gewitterwolke aus. Ab jetzt sind Gewitter möglich.
Wärmegewitter ziehen nur sehr langsam, meist sind sie nahezu ortsfest. Sie entwickeln sich im Sommer über Land, haben vorzugsweise am späten Nachmittag ihren Höhepunkt erreicht, entladen sich sodann und haben insgesamt nur eine recht kurze Lebensdauer (30 Minuten bis zwei Stunden).
Wärmegewitter entladen sich typischerweise zwischen 15.00 und 18.00 Uhr (selten später) mit heftigem Platzregen. Binnen kurzer Zeit können 20 bis 50 Liter pro Quadratmeter herunterkommen, in den Subtropen und Tropen auch mehr, zudem sind zentimeterdicke Hagelkörner möglich. Sie zeichnen sich durch sehr große Regenmengen und extrem schlechte Sicht aus. Ihnen fehlt öfter die Böenwalze, dennoch führt die kalte, ausfallende Luft zu Sturmböen.
Haben sich Wärmegewitter erst einmal entladen, fallen die meisten dieser Wolken zum frühen Abend wieder in sich zusammen, selten halten sie sich bis in den Abend hinein. Dies kann nur passieren, wenn es einen weiteren Wärmeenergie-Eintrag gibt, der die Luft am Kochen hält (beispielsweise sehr warmes Wasser). In der Regel folgt Wärmegewittern ein oft sogar noch schöner, trockener und lauschiger Abend, dem die Schwüle fehlt.
Wärmegewitter können vom Land aufs Meer ziehen. Hier verlieren sie allerdings schnell an Intensität, wenn das Wasser kälter ist als die Landoberfläche. Hierdurch wird das Aufsteigen der Luft gebremst und die Entwicklung unterbunden. Sollte das Wasser jedoch wärmer sein (beispielsweise Ostsee im Spätsommer, Mittelmeer im Herbst), dann intensivieren sich die Gewitterzellen über See, sie erhalten mehr Feuchtigkeit und Wärmeauftrieb von unten.
Hieraus können sich sehr heftige Gewittercluster entwickeln, die zudem das Potenzial für Wasserhosen haben. Gerade im Herbst (Mittelmeer), in den Tropen und Subtropen sogar ganzjährig, kann es auch auf See zu heftigsten Gewittern kommen – sowohl am Tag als auch in der Nacht.
Gewitterhäufigkeit und -zeiten
Eigentlich sind Gewitter etwas Normales. Täglich werden weltweit vier Millionen registriert. Die meisten Ladungsunterschiede gibt es dabei von Wolke zu Wolke. Nur zehn Prozent der Blitze schlagen in den Boden ein. Die Gewittertätigkeit ist regional sehr unterschiedlich. Aufgrund des Klimawandels ist davon auszugehen, dass pro ein Grad Celsius durchschnittlicher Temperaturanstieg die Zahl der Blitze um etwa zehn Prozent zunimmt.
Grundsätzlich entwickeln sich die meisten und schwersten Gewitter in feucht-labiler Luft. In den Tropen gehören Gewitter zur Wettertagesordnung des späteren Nachmittags. In den Polarregionen dagegen sind sie ausgesprochen selten.
Obschon Sonneneinstrahlung (Erhitzung) und damit der Stand der Sonne und der Feuchtegehalt der Luft die Voraussetzungen schaffen, kann man sich gerade hinsichtlich der Häufigkeit von Gewittern über Wasser auch an den Wassertemperaturen orientieren. Wenn diese ihr Maximum erreichen, ist die Gewitterneigung über See am größten.
An und auf Nord- und Ostsee sind Juni bis August die Monate mit der höchsten Gewitterneigung. Im Mittelmeerraum sind aus demselben Grund Gewitter vor allem im Oktober und November häufig – und dann auch ausgesprochen heftig, Gewitterböen von 50 bis 60 Knoten (10 bis 12 Beaufort) und Wasserhosen sind möglich. Gerade hier liegt die Ursache in den hohen Wassertemperaturen.
Kommt es zu Kaltluftvorstößen, die über See reichen, führen diese zu extremer Instabilität und zu massiven Umwälzungen. Kleinräumige, sehr wetterintensive Tiefdruckwirbel entstehen, häufig gehen diese dann mit heftigen Gewittern einher.
Das klingt präsenter, als Gewitter tatsächlich sind: In den mittleren Breiten gibt es im Durchschnitt am und auf dem Wasser drei bis fünf Gewittertage pro Monat (im Landesinneren sind es fast zehnmal so viele). Über Land sind sie also sehr viel häufiger als über der offenen See. Hierdurch ist die Gewittergefahr auf den vergleichsweise kleinen Binnenseen erheblich größer als auf dem Meer.
Woran erkennt man Gewitter?
Gewitter sind auf große Entfernung sehr gut zu erkennen. Sie stecken in den höchsten Wolken, die die Troposphäre zustande bringt. Diese sogenannten Cumulonimbus-Wolken haben ihre Basis zwischen 300 und 800 Meter und wachsen bis zur Tropopause (9-18 Kilometer). Wie gegen einen Deckel stößt die senkrecht nach oben schnell aufsteigende Wolkenluft, die in der Vertikalen Geschwindigkeiten von 20 bis 40 Knoten annimmt. Der Deckel sorgt für den „Amboss“ als untrügliches Zeichen einer ausgewachsenen Gewitterwolke. Erst wenn der Amboss entwickelt ist, hat die Gewitterwolke ihr Endstadium erreicht, ab jetzt beginnt sich die aufgebaute Energie in Form eines heftigen Gewitters zu entladen.
Den Amboss erkennt man nur, wenn die Wolke weit genug entfernt ist (weiter als zehn Seemeilen). Er ist weiß und leuchtet von der Sonne beschienen. Steht die Wolke dichter als zehn Seemeilen, ist der Amboss von unten nicht mehr zu erkennen. Er verschwindet wie viele Konturen in einem grauen Wolkenbrei. Lediglich die Farbe kann als typisches Indiz gewertet werden: Aus hellem Grau wird ein tiefes Dunkelgrau – einige empfinden die Wolke als schwarz. Wo die dunkelsten und bedrohlichsten Wolkenanteile sind, ist der meiste Wind zu erwarten (Böenwalze). Das Zentrum der Gewitterwolke versteckt sich hinter dem nachfolgenden, schon wieder etwas helleren Regenvorhang.
Gewitter zeichnet ihr enormer Energieinhalt aus. In einer Gewitterwolke stecken je nach Größe zwischen ungefähr 150 und 700 Millionen Kilowattstunden! Das entspricht dem Jahresenergiebedarf von 5.000 bis 20.000 Haushalten. Das häufigste Merkmal einer Gewitterwolke ist eine der eigentlichen Wolke vorauseilende Böenwalze. Sie ist unverkennbar als Wolkenrolle identifizierbar. Hier saugt die Wolke in 100 bis 300 Metern Höhe noch warme Luft an, während rückseitig bereits kalte Luft aus der eigentlichen nachfolgenden Wolke ausströmt. Beide gegenläufigen Luftströmungen führen zu einer horizontalen Rotation. Die kalte Luft macht den Böenanteil aus: kurz, aber sehr heftig.
Übrigens gibt es die mit Abstand meisten Blitze in der höheren Atmosphäre in Form von Entladungen zwischen einzelnen Wolkenteilen oder zwischen benachbarten Wolken. Hier „springt laufend der Funke über“. Der Blitz läuft dem Donner weit voraus.
- Blitz – Lichtgeschwindigkeit in der Luft: bis 300.000.000 Meter pro Sekunde
- Donner – Schallgeschwindigkeit in der Luft: 343 Meter pro Sekunde
Blitze sind dabei ungefähr eine Million Mal schneller unterwegs als der nachfolgende Donner. Der Blitz markiert das Entladungsereignis. Dieses löst sofort eine Druckwelle aus. Je schneller der Donner dem Blitz folgt, desto näher ist dieser Ort der Entladung. Je größer der zeitliche Abstand, desto weiter weg befindet man sich davon.
Bei jedem großen Feuerwerk wird dieser Zeitversatz vorgeführt. Ein bis zwei Sekunden sind es zwischen Aufblitzen und dem Knall der Explosion – und das, obwohl das Feuerwerk nur wenige hundert Meter vor einem gezündet wird.
Warum ziehen Gewitter „gegen den Wind“ auf?
Alle wundern sich und viele glauben diese scheinbare Wetterregel. Um den Zauber nicht zu groß werden zu lassen: Tatsächlich ziehen Gewitter nicht gegen den Wind auf! Sie ziehen – wie alle Wolken – mit der Höhenströmung. Will man also die Zugrichtung eines Gewitters bestimmen, so muss man sich an den mittelhohen Wolken orientieren.
Warum ziehen die Gewitter dennoch „gefühlt“ gegen den Wind auf? Gewitterwolken sind die größten und höchsten Gebilde mit mächtigen Umwälzungen und einer immensen Eigendynamik, die sich in einem eigenen Strömungsmuster in und um die Wolke herum abbildet. Damit eine so mächtige Wolke entstehen kann, muss sie erst wachsen. Das funktioniert wie bei einem Kamin: Im Zentrum der Wolke steigt die Luft auf. Diese wird bodennah aus der Umgebung angesogen — so arbeitet die Wolke wie ein Staubsauger.
Je höher und mächtiger sie wird, desto mehr Kraft entwickelt diese. Damit gewinnt die Wolke viel Kraft und Einfluss, und das Wolkenwindfeld kann das eigentlich vorhandene Bodenwindfeld (Gradientwind) stark verändern oder es sogar überlagern. Je näher die Wolke einem kommt, desto stärker ist der Wolkenwind zu spüren.
Die Gewitterwolke zieht mit dem Höhenwind, dieser folgt dem großräumigen Bodenwindfeld, dem Gradientwind, der wegen der Bodenreibung direkt über Wasser lediglich etwas schwächer und um rund 20 Grad mehr nach links gedreht ist. Zieht in das großräumige Windfeld eine vom Höhenwind getriebene Gewitterwolke hinein, saugt die Wolke ihrerseits auf der Vorderseite Luft an. Diese strömt somit entgegen der allgemein vorherrschenden Windrichtung!
Die Folge: Beim Herannahen des Gewitters schwächt sich der zunächst beherrschende allgemeine (Gradient-)Wind ab, um schließlich mit Annäherung der Wolke einzuschlafen und dann aus der entgegengesetzten Richtung wieder einzusetzen. Das ist bereits die Sogwirkung der Wolke (Wolkenwind), die jetzt dominiert. Das Gewitter zieht scheinbar gegen den Wind auf. Wer diesen Windrichtungswechsel spürt, befindet sich im direkten Einflussbereich der Gewitterwolke.
Zieht die Wolke vorbei?
Solange der neue Bodenwind seine Richtung nicht ändert, kommt die Wolke direkt auf einen zu. Beginnt der Wind nach rechts zu drehen, dann zieht die Wolke rechts an einem vorbei, dreht er nach links, wird sie einen mit ihrem Zentrum links passieren.
Außerdem gibt es sehr gute Wettersoftware, mittels derer sich aufziehende Gewitter frühzeitig erkennen lassen. Auch in der von uns entwickelten Software Seaman Pro werden Gewitter dargestellt, als eine schwarze Wolke mit einem roten Blitz.
Was tun bei Gewitter?
Ratschläge gibt es eine ganze Menge, nur sind sie eher der Physik entwachsen als der Realität. So lautet eine Empfehlung, sich mindestens zwei Meter von dem nächsten Metall (Mast, Baum, Want) aufzuhalten. Aber wo ist das auf einer Segelyacht unter 40 Fuß wirklich möglich?
Was einigermaßen realistisch ist:
- Der sicherste Aufenthaltsort ist wohl unter Deck.
- Für den Rudergänger empfiehlt es sich, wenigstens „isolierende“ Bekleidung zu tragen: Gummistiefel und Handschuhe. Metallteile dürfen nicht berührt werden.
- Ankermanöver unterlassen
- Ich empfehle, vor dem direkten Eintreffen des Gewitters den Motor zu starten und einfach nur mitlaufen zu lassen (nach einem eventuellen Blitzeinschlag funktioniert womöglich die Elektrik nicht mehr)
- Nach direktem Blitzeinschlag oder auch Blitzeinschlag in der unmittelbaren Nähe des Schiffes die elektrische Navigation, Kompass, Maschinenanlage, Ruderanlage, und Weiteres prüfen, ob sie noch einwandfrei funktionieren und richtige Werte anzeigen.
Fazit
Gewitter auf See zu erleben, ist nicht schön und man sollte Respekt vor ihnen haben. Ich hoffe, die vorstehenden Tipps helfen einzuordnen, welche Arten von Gewitter es gibt und was es bedeutet, auf See mit einem Gewitter konfrontiert zu sein.
Logischerweise ist es unerlässlich, frühzeitig mitzubekommen, ob ein Gewitter aufzieht. Mit den Möglichkeiten der Technik, die uns heutzutage in Form von Software und Vorhersagen zur Verfügung steht, dürfte dies auch für den meteorologischen Laien keine allzu große Herausforderung darstellen.