Ein Beitrag von
Dr. Meeno Schrader ist Diplom-Meteorologe, TV- und Hörfunk-Wetterexperte sowie Wetterrouter und -berater. Zudem ist der an der Nordsee aufgewachsene Fahrten- und Regattasegler mit mehr als 50.000 Seemeilen im Kielwasser Gründer der WetterWelt GmbH, die mit rund 20 Mitarbeitern weltweit Wassersportler und die Berufsschifffahrt berät.
Küsten und Inseln können Einfluss auf die Wind- und Seegangsverhältnisse haben
Solange kein Land in der Nähe ist, sind Wind- und Seegangsverhältnisse nur eine Folge des Gradientwindes, der hieraus resultierenden Windsee und einer Dünung. In direkter Küstennähe existieren zusätzliche Einflüsse aufgrund der Topografie. Sie verändern das freie Windfeld und den Seegang und führen zu teilweise erheblichen Unterschieden.
Küsteneffekte: Der Kapeffekt
Vom sogenannten Kapeffekt ist die Rede, wenn bewegte Luft auf ein einseitiges Hindernis stößt. Strömt die Luft dieses Hindernisses im stumpfen rechten Winkel zur Küste an, wird sie beschleunigt. Ab- und auflandige Winde haben keinen Effekt.
Das Kap selbst kann eine flache Insel mit Sandstrand sein, ein unauffälliger Küstenabschnitt, der ins Meer ragt, oder eine Halbinsel mit größerem Felsvorsprung. Je steiler das Kap, desto stärker sind die Auswirkungen. Die Grundströmung wird durch diesen Kapeffekt verändert: Sie wird am Kopf des Kaps signifikant beschleunigt, vor und hinter dem Kap in Landnähe aber auch deutlich verwirbelt und verlangsamt.
Das Prinzip: Der Luftströmung liegt etwas im Weg. Statt über das Kap zu streichen, sucht sie auch hier den Weg des geringsten Widerstandes. Die Luft wird um das Kap herumgeführt. Auf der Luvseite führt dies zu einer Ablenkung des Windes seewärts und dicht unter der Küste zu einer Windabnahme (Staueffekt). Je näher am Scheitelpunkt, desto mehr nimmt der Wind jedoch zu, hier muss mehr Luft auf engerem Raum transportiert werden. Im Scheitelbereich des Kaps ist die Windgeschwindigkeit am höchsten. Hier ist immer ein guter Spot für Surfer und Kiter, die viel Wind suchen.
In Flussrichtung geblickt, nimmt der Wind auf der Rückseite des Kaps langsam wieder ab. Unter der Küste dreht er landwärts. Seewärts bleibt der Wind beständig und nimmt auf seine ursprüngliche Geschwindigkeit ab.
Wie weit wirkt sich der Kapeffekt seewärts aus?
Eine Faustformel hilft hier ganz gut weiter. Der signifikante Effekt eines Kaps berechnet sich aus der Formel:
Kapeffekt = Höhe des Kaps x 30
Weiter seewärts schwächt sich der Kapeffekt linear deutlich ab.
Wie wirkt der Kapeffekt vor und hinter dem Kap?
Auf der Luv- wie auf der Leeseite des Kaps dreht der Wind um 10-30°. Je dichter unter Land, desto mehr schwächt er sich durch einen Staueffekt ab. Je näher an der Spitze des Kaps, umso mehr nimmt der Wind wieder zu und dreht auf seine ursprüngliche Richtung zurück.
Auf der Leeseite steht der gleichen Menge an Luft wieder mehr Raum zur Verfügung. Sie beginnt also wieder, sich zu verteilen, auseinanderzuströmen und zu verwirbeln.
Es entsteht ein regelrechter Unterdruck im Lee des Kaps. Das kann bei gebirgsähnlichen Kaps sogar zur Entstehung eines Leetiefs führen; zumindest zu Verwirbelungen mit einer schwachen Gegenströmung.
Küsteneffekte: Der Düseneffekt
Eigentlich läuft auf dem Wasser alles (fast) reibungslos ab. Die Luft streicht über die Wasseroberfläche und wird kaum abgelenkt, solange kein Hindernis im Weg ist – was auch immer als „Hindernis“ zu bezeichnen ist. Luft sucht den Weg des geringsten Widerstandes. Das gilt umso mehr für den Moment, wenn sie auf Land stößt. Ist hier ein Durchlass vorhanden, beispielsweise ein Eingang in eine Bucht, oder besteht das Land aus zwei Inseln mit einer Meerenge, folgt sie weiter dem physikalischen Prinzip des geringsten Widerstandes.
Die Luft geht sogar so weit, sich lieber durch die Meerenge zu „quetschen“, als über die rauen Inseln zu streichen. Die Folge: Die Luftteilchen werden auf ihrem Weg durch die Meerenge beschleunigt und versuchen, mit den übrigen Molekülen Schritt zu halten, der Wind nimmt zu. Die Zunahme wird vom Relief und der Enge der Durchfahrt bestimmt.
Die Zunahme der Windgeschwindigkeit des freien Windfeldes innerhalb der Düse beträgt 50 bis 100 Prozent. Perfekte Düsen wie die Straße von Bonifacio zwischen Korsika und Sardinien oder die Straße von Gibraltar ermöglichen eine Verdopplung der Windgeschwindigkeit.
Der Mittelmeerwind Bora entlang der Adria ist nur deswegen so heftig, weil der ablandige Wind aus dem Hinterland durch Täler an der Küste beschleunigt wird. Dieser Düseneffekt führt zu Windgeschwindigkeiten von 40 bis 60 Knoten, die unterstützt durch die Düsen auf See hinausschießen.
Faustformel: Düseneffekte führen im Bereich einer Meeresenge annähernd zu einer Verdoppelung der Windgeschwindigkeit. Besonders, wenn es sich um eine steile Küste handelt. Aus 15 werden somit 30 Knoten. Der Effekt ist manchmal schon ein bis zwei Seemeilen vor und noch zwei bis fünf Seemeilen hinter der Verengung (in Richtung des wehenden Windes) zu spüren. Er läuft also auf der Rückseite noch länger nach.
Küsteneffekte: Die Küstenkonvergenz
Strömen Luftteilchen aufeinander zu, egal in welchem Winkel zueinander, konvergiert (lateinisch: sich hinneigen, zusammenfließen) die Strömung. Man spricht von einer Konvergenz. Der Stau der Luft an einem Küstenabschnitt heißt auch Küstenkonvergenz. Er bewirkt ein Zusammenfließen.
Windrichtung bei auflandigem Wind
Betrachtet man die Luftströmung im Küstenbereich näher, ist festzustellen, dass sich diese ufernah ändert. Ursache ist die Rauigkeit. Land ist immer rauer als Wasser. Rauigkeit führt zu Reibung und diese bremst die Luftströmung. Der Wind nimmt ab, die Corioliskraft wirkt hierdurch weniger stark, schon ändert sich die Windrichtung um etwa zehn Prozent. Das Kuriose: Wenn Luft gegen ein Ufer strömt, wirkt sich dieser Effekt bereits über Wasser aus, kurz bevor die Luft das Land erreicht. Dabei erfolgt eine Winddrehung nach links (Nordhalbkugel).
Windgeschwindigkeit bei auflandigem Wind
Strömt Luft vom Meer auf Land, dann kommt es aufgrund der Reibungsunterschiede direkt an der Küste zu einem „Staueffekt“. Die Luft strömt schneller nach, als sie über Land binnenwärts abfließen kann.
Die Verlangsamung der Strömung erfolgt grundsätzlich und ist zunächst unabhängig von der Küstentopografie. In jedem Fall wird ein Teil der anströmenden Luft gezwungen, nach oben auszuweichen, die Luftteilchen werden gehoben. Bei Steilküsten ist es sogar ein erheblicher Teil der Luft, der so gehoben wird. So viel, dass Paraglider Steilküsten suchen. Sie können von der Klippe starten und dann stundenlang im Aufwind der Steilküste ihre Kreise ziehen, selbst wenn die Küste nur 30 Meter hoch ist.
Da Meeresluft immer feucht ist und genügend Wasserdampf enthält, entstehen durch die Hebung kleine Quellwolken. Sie stehen genau über der Küstenlinie. Folge des „Staus“ auf das bodennahe Windfeld vor der Küste ist eine deutliche Windabnahme. Wie weit dieser Abnahmeeffekt seewärts reicht, ist von der Topografie abhängig. Faustformel:
Radius Schwachwindgefahr = Höhe der Steilküste H x 10
Küstenkonvergenz bei ablandigem Wind
Eine andere Form der Küstenkonvergenz liegt vor, wenn der Wind die Küstenlinie im spitzen Winkel schneidet. Weht der Wind schräg ablandig, sodass das Land auf der rechten Seite liegt, das offene Wasser auf der linken Seite, macht sich die Windrichtungsänderung durch die Rauigkeitsunterschiede Wasser/Land bemerkbar – auch hier kurioserweise noch innerhalb eines schmalen Streifens über Wasser. Über Land strömt die Luft mehr aus dem Hoch heraus, über Wasser strömt sie eher isobarenparallel. Der Unterschied ist mit 10 bis 20 Prozent nur gering, aber er reicht für signifikante Änderungen beim Wind und Wetter.
In einem Streifen von 100 bis 1.000 Metern Abstand seewärtig der Küste weht dann mehr Wind als weiter draußen. Ein Umstand, den man sich als Regattasegler taktisch zunutze machen sollte. Auch Surfer versuchen, Spots mit Küstenkonvergenz aufzusuchen, um in Zonen mit höheren Windgeschwindigkeiten zu kommen.
Wie weit dieser Effekt seewärts zu spüren ist, hängt von weiteren Umständen ab, wie beispielsweise der Luftschichtung. Bei labiler Schichtung (Quellwolken) muss man ganz dicht unter die Küste fahren, um vom Konvergenzeffekt zu profitieren. Bei stabiler Schichtung (Schichtwolken, diesig) sind die Änderungen auch noch weiter draußen zu spüren. Vorhanden ist der Effekt immer! Generell gilt:
Küstenkonvergenz ergibt sich bei folgender überregionaler Luftdruckverteilung: hoher Luftdruck über Land, tiefer Luftdruck über See.
Betrachtet man die Windrichtung über Wasser, so weht der Wind dort mehr von rechts als über Land. Beispiel: über Land 320 Grad, über Wasser 340 Grad. Dieser vermeintlich kleine Unterschied reicht und hat sofort Auswirkung auf die Windgeschwindigkeiten in Küstennähe. Die Luft strömt zusammen, sie konvergiert. Wie beim Düseneffekt werden die Luftteilchen beschleunigt, es erfolgt eine Zunahme der Windgeschwindigkeit von 20-40 Prozent.
Küsteneffekte: Die Küstendivergenz
Küstendivergenz bei ablandigem Wind
Bei ablandigem Wind kehren sich die Auswirkungen gegenüber der Küstenkonvergenz genau um. Jetzt fließt die Luft aufgrund der geringeren Reibung über Wasser schneller ab, als sie von Land her nachtransportiert werden kann. Dadurch erfährt der Wind seewärtig innerhalb einer schmalen Zone eine Beschleunigung, nimmt also zu. Dieser Streifen ist allerdings nur schmal.
Vorsicht: Direkt unter der Küste gibt es infolge der Abdeckung deutlich weniger und unstetigen Wind!
Gut sichtbar ist dieser Effekt im Wolkenbild. Durch das schnellere Abfließen ergibt sich eine Art Sogeffekt, bei dem aus höheren Schichten Luft nach unten gezogen wird. Hierdurch wird eine Absinkbewegung ausgelöst. Waren gerade noch dichte Wolken über Land, werden diese aufgrund der Absinkbewegung auflockern, bestenfalls sogar deutlich kleiner werden bis hin zur Auflösung. Das ist der Grund, warum bei ablandigen Winden an den Küsten und auch weiter seewärts tendenziell besseres Wetter (Sonne) zu erwarten ist.
Küstendivergenz bei parallelem oder schräg auflandigem Wind
Weht der Wind schräg auflandig, sodass mit Wind im Rücken das Land auf der linken Seite liegt und die offene See auf der rechten Seite, ist unter der Küste eine Küstendivergenz vorhanden. Sie wirkt sich auf die Windrichtung und die Windgeschwindigkeit aus. Schon in einer Wetterkarte kann man diese Einschätzung vornehmen: Für diese Anströmung muss über See der hohe Luftdruck liegen, über Land der tiefere.
Aufgrund der Reibungseffekte sind die Luftteilchen über Land langsamer als über See. Dadurch strömt die Luft über Land direkter in das Tiefdruckgebiet als über Wasser. Folge: Die Windrichtung über Land ist um etwa 20 Grad mehr nach links gedreht als über Wasser.
Die Besonderheit: Bereits vor dem Auftreffen auf Land geraten die Luftteilchen in die „Sogwirkung“ der Luftteilchen über Land. So erfolgt die Änderung der Windrichtung als Linksdreher (Nordhalbkugel) schon über dem Wasser. Die Luft strömt in einem schmalen Streifen vor der Küste/dem Ufer auseinander, sie divergiert. Die Divergenz führt sofort zu einer Windabnahme. Diese reicht nur wenige hundert Meter seewärts. Dies sind die Fälle, bei denen unter der Küste weniger Wind angetroffen wird als weiter draußen.
Wieder sind es die Wolken, die helfen, den Effekt sichtbar zu machen. Eine Divergenz löst eine Absinkbewegung in der höheren Luftströmung aus. Die Folge: Falls Wolken vorhanden sind, beginnen diese im Küstenbereich aufzuhellen, kleiner zu werden und sich im besten Fall sogar aufzulösen. Der Divergenzeffekt ist umso ausgeprägter, je küstenparalleler der Wind weht.
Windveränderungen durch Inseln
Windfeld
Aus der atmosphärischen Perspektive eines großräumigen Windfeldes sind viele kleinere Inseln (Durchmesser kleiner als zehn Kilometer) eigentlich kaum als Hindernisse anzusehen. Auch wenn ein Großteil der Luft die Inseln einfach überströmt, ein Bruchteil wird um sie herum gelenkt. Genug, um spürbare Auswirkungen auf Wind und Seegang zu hinterlassen.
Das Windfeld einer Insel setzt sich aus verschiedenen Effekten zusammen, je nachdem, an welchem Küstenabschnitt man sich befindet. Vor allem sind dies:
- Der Kapeffekt (Windzunahme)
- Der Konvergenz- und Divergenzeffekt
In Strömungsrichtung geblickt, kommt es auf der linken Seite der Insel zu einer Konvergenz, hier weht deutlich stärkerer Wind (Zunahme um 30 bis 60 Prozent). Auf der rechten Seite der Insel liegt hingegen eine Divergenz vor, hier ist mit weniger Wind zu rechnen (etwa 25 Prozent Abnahme).
Bleiben noch die Flanken: Im Luv der Insel ergibt sich ein geringer Staueffekt, somit eine Windabnahme. Die Küstenbeschaffenheit bestimmt, wie sehr der Wind abnimmt. Eine Steilküste, hohe Berge oder eine Stadt mit hohen Gebäuden können zu einer Reduzierung infolge des Staus um 80 bis 100 Prozent führen. Im Lee der Insel ist am wenigsten Wind. Abdeckung und Turbulenzen führen zu sehr unstetem Wind. Auch hier bestimmen die Höhe der Insel und ihre Beschaffenheit die Art der Verwirbelungen und die Ausdehnung der windschwachen Zone.
Eine Faustformel hilft, die Ausdehnung des gestörten Windfeldes im Lee der Insel abzuschätzen: Höhe des Hindernisses (Steilküste, Bebauung, Bäume) multipliziert mit dem Faktor 30. Ist das Ufer 50 Meter hoch, kann erst in einem Abstand von 1.500 Metern mit einem einigermaßen stetigen, sauberen Windfeld gerechnet werden. Faustformel:
Distanz gestörtes Windfeld im Lee = Höhe des Hindernisses x 30
Einen der größten Abdeckungseffekte beim Segeln erzielt der Teide, ein Vulkan auf Teneriffa, mit seinen 3.718 Metern. Im Lee dieses Vulkans existiert auf 60 bis 80 Seemeilen eine Zone sehr schwachen, unsteten Windes.
Wellenbild und Seegang an einer Küste
Treffen Wellen auf eine Küste, verlieren sie grundsätzlich ihre Energie. Gehört die Küste zu einer Insel, bleibt noch Restenergie vorhanden. Ein Teil der Welle wird reflektiert, sodass eine neue Welle wieder seewärts zurückläuft und zu einer sehr kabbeligen See im Luv der Insel führt.
An den Flanken der Insel läuft die Welle aufgrund der Windgeschwindigkeiten kürzer und höher, aber relativ gleichmäßig. Dies kommt Surfern und Kitern wiederum zugute.
Im Lee der Insel ist es oftmals am unruhigsten. Die Wellen laufen um die Insel herum. Hier spielt Refraktion die größte Rolle. Seitlich an der Insel vorbeilaufende Wellen werden in Richtung Rückseite gebrochen und geführt. Dadurch laufen im Lee von jeder Seite der Insel Wellen aufeinander zu. Das führt zu Kreuzseen und einer sehr unruhigen See gerade dort, wo der Wind am schwächsten ist und man als Ankerlieger den besten Schutz erwartet. Ist das Wasser tief genug, kann dem Seegang nur entkommen, wer dicht genug unter der Küste ankert.
Fazit
Treffen Wind und Seegang auf Land, können sie in Richtung und Stärke verändert werden. Die hieraus resultierenden Effekte entstehen in Abhängigkeit von der Topografie. Sie beeinflussen das freie Windfeld sowie den Seegang und führen zu teilweise erheblichen Veränderungen hinsichtlich des Wohlbefindens an Bord. Daher ist es hilfreich die Auswirkungen von Kapeffekten, Düseneffekten und Küstendivergenzen zu kennen und gegebenenfalls zum eigenen Vorteil zu nutzen. Es würde mich freuen, wenn meine Erklärungen dazu beitragen.
Lieber Meeno Schrader, vielen Dank für diesen anschaulichen, gut verständlichen und übersichtlichen Bericht! Gerade in einem Segelrevier wie der Ägäis, sind die Erklärungen sehr hilfreich.