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Johannes Erdmann überquerte im Alter von 19 Jahren zum ersten Mal einhand den Atlantik. Während seines Schiffbaustudiums schrieb er sein erstes Buch „Allein über den Atlantik“. Nach zehn Jahren als Wassersportjournalist, rund 60.000 Seemeilen im Kielwasser und sieben Jahren auf See gibt er heute seine Erfahrung vom Langfahrtsegeln als Berater und Journalist weiter. Mit Shorecrew.de begleitet er zudem angehende Eigner auf dem Weg zur eigenen Yacht und gehört zum Expertenteam von BLAUWASSER.DE.
Rollsegel sind komfortabel, doch bei Starkwind nicht die optimale Wahl
Wenn der Wind zunimmt und sich das Boot immer weiter auf die Seite legt, wird es irgendwann Zeit zu reffen. Zum Glück sind moderne Yachten mit Rollreffanlagen ausgerüstet. Niemand muss mehr aufs Vorschiff, um eine Fock oder Sturmfock anzuschlagen – stattdessen wird die Genua bequem ein Stück eingerollt, bis nur noch ein kleines Segeldreieck steht. Das Boot segelt aufrechter, fühlt sich kontrollierter an, manchmal läuft es sogar schneller als zuvor. Und doch passiert etwas Merkwürdiges: Plötzlich läuft es nicht mehr so hoch am Wind. Eben noch ließ sich ein Kurs von 30 Grad zum Wind halten, nun sind es 45. Das Ziel scheint in weite Ferne zu rücken.

Die Ursache liegt nicht im Segeltuch selbst, sondern in der veränderten Aerodynamik. Wer bei Starkwind die Genua stark einrollt, verändert das gesamte Kräfteverhältnis des Riggs – und verschenkt Höhe. Die clevere Alternative ist ein separates Segel am Kutterstag, das das Boot wieder ins Gleichgewicht bringt – und die Performance auch bei 30 Knoten Wind erhält.

Warum gereffte Rollreffgenuas Leistung kosten
Beim Verkleinern einer Rollreffgenua passiert mehr, als dass einfach Tuchfläche verschwindet. Durch das Einrollen wird der Spalt zwischen Vor- und Großsegel – der sogenannte „Slot“ – breiter. Genau dieser Bereich sorgt aber für einen großen Teil des Vortriebs und der Amwindleistung. Wird der Slot zu groß, reißt der Luftstrom ab, das Boot verliert Druck und Geschwindigkeit.
Beim Verkleinern einer Rollreffgenua wandert außerdem der Druckpunkt des Vorsegels nach vorne und oben. Das Gleichgewicht zwischen Vor- und Großsegel geht verloren, das Boot wird luvgierig und krängt stärker. Mit jedem Reffschlag sinkt also nicht nur die Fläche, sondern auch die Effizienz – und die Geschwindigkeit zum Ziel (Velocity made good – VMG) schrumpft.
Ein Stagsegel bringt das Boot zurück ins Gleichgewicht
Anstatt die Genua weiter einzurollen, setzen erfahrene Segler bei zunehmendem Wind stattdessen ein kleineres Stagsegel, das an einem zusätzlichen, inneren Vorstag – dem Kutterstag – gefahren wird. Dieses Segel steht weiter achtern und tiefer, wodurch der Druckpunkt zurückverlagert und das Boot wieder in Balance gebracht wird. Die Folge: bessere Höhe, weniger Ruderdruck und ein ruhigeres Segelverhalten.

Ein weiterer Vorteil zeigt sich, wenn der Wind noch mehr zunimmt: Wer eine große Rollgenua fährt, muss sie normalerweise erst vollständig ausrollen, um sie zu bergen und gegen eine Sturmfock zu tauschen – zumindest, wenn die Sturmfock ebenfalls im Profilvorstag gefahren wird und nicht etwa ein „Galesail“ ist, über die aufgerollte Genua gezogen werden kann. Das Ausrollen der Genua ist bei schwerem Wetter ein riskantes Manöver. Mit einem fest installierten oder wegnehmbaren Kutterstag hingegen lässt sich das kleinere Stagsegel einfach dahinter setzen, ohne die aufgerollte Genua anfassen zu müssen.
Dass Serienyachten meistens ohne Kutterstag ausgeliefert werden, liegt vor allem an den Produktionskosten und am Komfortgedanken: Ein fest installiertes Stag kann die Genua beim Wenden stören. Doch wegnehmbare Systeme lösen dieses Problem – und können problemlos bei vielen Booten nachgerüstet werden.

Einfach nachrüsten – so geht’s
Ein Kutterstag nachzurüsten ist technisch unkomplizierter, als viele denken. Wichtig ist, dass es sich schnell und werkzeuglos setzen und spannen lässt – denn bei Starkwind zählt jede Sekunde. Dafür gibt es mehrere Systeme:

Sehr verbreitet sind Schnellspanner von Wichard, die mit einem Griff oder Drehrad bedient werden. Ebenfalls beliebt sind Hebelspanner von Schaefer Marine, bei denen ein einfacher Hebelarm das Stag in Sekundenschnelle spannt. Auch eine Dyneema-Variante ist möglich – leicht, leise und korrosionsfrei. Eine kleine Talje am Ende des Stags kann nach achtern umgelenkt und auf einer Hebelklemme fixiert werden.

Wichtig ist die korrekte Lastverteilung: Damit das Deck die hohen Kräfte aufnehmen kann, muss der Anschlagpunkt sorgfältig gewählt und verstärkt werden. Es reicht nicht, einfach einen U-Bolzen durch das Deck zu montieren, weil die Last des Segels dann am unverstärkten Deck reißen würde. Am besten eignen sich Montagepunkte in der Nähe des Ankerkastens, mit einem T-Profil oder Gegenblech, das die Kräfte in den Rumpf weiterleitet. Auf einigen Booten wird dies auch mithilfe eines unter Deck montierten Drahtseils samt Wantenspanner umgesetzt.

Der Beschlag sollte etwa 20 bis 30 Prozent hinter dem Vorstag montiert werden. Das Kutterstag selbst verläuft parallel zum Vorstag und greift am Mast dort an, wo das Großsegel im zweiten Reff endet – meist auf zwei Dritteln der Masthöhe. Rigg-Hersteller wie Seldén bieten passende Beschläge zum Nieten an.

Checkstays: Stabilität und Sicherheit
Bei stark gerefftem Großsegel kann das Achterliek einen Teil der Kräfte aufnehmen, doch empfehlenswert ist die zusätzliche Abstützung durch sogenannte Checkstays. Sie bilden mit dem Kutterstag ein stabiles Dreieck und verhindern, dass der Mast zu schwingen beginnt, wenn das Boot hart am Wind läuft.
Bei Masten aus Aluminium lassen sich solche Checkstays einfach nachrüsten. Dafür werden Augplatten mit T-Haken angebracht, an denen leichte Dyneema-Leinen befestigt sind. Die Leinen laufen über kleine Blöcke nach achtern, wo sie entweder auf einer Winsch oder über eine Talje gespannt werden. So entsteht ein abgestagtes Schwerwetterrigg, das auch bei Böen und steiler Welle zuverlässig steht.
Das richtige Segel für jedes Wetter
Das ideale Setup besteht aus zwei Segeln: einem Arbeits-Stagsegel und einer Sturmfock. Das Arbeits-Stagsegel wird bis aufs Deck geschnitten, um Deck und Crew bei überkommender See zu schützen, und überlappt leicht, um einen wirksamen Spalt zum Groß zu schaffen und die Kreuzeigenschaften zu verbessern. In Kombination mit dem zweiten Reff im Groß lässt sich so selbst bei 25 bis 30 Knoten Wind noch sicher am Wind segeln.

Die Sturmfock ist nur für den Notfall gedacht. Sie sollte möglichst klein, aber so groß wie nötig sein, und in Signalfarbe Orange für bessere Sichtbarkeit. Hoch geschnitten, damit sie wenig Wasser fängt, und stark gebaut, um Böen und Wellen standzuhalten. Wer beide Segel angeschlagen bereithält – etwa in komprimierten Segelsäcken am Mastfuß – spart im Ernstfall wertvolle Minuten.

Fazit: Mehr Kontrolle, mehr Höhe, mehr Sicherheit
Ein Kutterstag mit Stagsegel ist kein Relikt aus alten Tagen, sondern eine sinnvolle Ergänzung für moderne Yachten. Wer seine Genua bei Starkwind stark einrollt, verschenkt Balance und Leistung. Mit einem Stagsegel bleibt das Boot ausgewogen, gewinnt an Höhe und bleibt auch bei kräftigem Wind sicher beherrschbar.

Dank moderner Schnellspanner, Dyneema-Leinen und durchdachter Beschläge ist die Nachrüstung heute einfacher denn je. Und das Ergebnis überzeugt: Mehr Segelkomfort bei viel Wind – und das gute Gefühl, auf alles vorbereitet zu sein. Denn am Ende gilt: Ein gutes Stagsegel ist mehr als ein Starkwindsegel – es ist das fehlende Stück Balance zwischen Komfort und Performance.

























Sehr interessanter Artikel. Was ist denn auf einer Charteryacht die bessere Alternative? Stark gereffte Genau oder nur Großsegel? Ein Kutterstag ist ja in aller Regel nicht geriggt.