Erfahrungsbericht einer Achtjährigen: Ein Jahr Segelabenteuer um den Atlantik

Ein Beitrag von

Neele Wendl

Neele Wendl kommt aus der Nähe von Hannover und hat als Kind eine einjährige Atlantikrunde mit ihren Eltern und Geschwistern auf einer Beneteau Oceanis 423 im Kielwasser gelassen. Sie ist auch heute noch begeisterte Wassersportlerin und Weltentdeckerin.

Im Juli 2014 stachen Neele, ihre Eltern und ihre zwei Brüder in See – ein Jahr lang wollten sie auf einem Segelschiff die Welt erkunden. Wie es zu dieser Entscheidung kam, mit welchen gemischten Gefühlen die Familie kämpfen musste und wie der Familienalltag auf dem Wasser aussah, davon erzählt Neele in diesem persönlichen Erfahrungsbericht.

Meine Familie und ich an Bord unserer ANNE

Die Wunschvorstellung: ein einjähriger Segeltörn in die Karibik

„Was haltet Ihr davon, ein Jahr lang auf einem Segelschiff zu leben?“ Die Frage unserer Eltern kam völlig unerwartet. Sie hatten seit einiger Zeit einen Segelschein, und wir hatten alle zusammen auch schon einen kurzen Segelurlaub gemacht. Mama und Papa waren völlig fasziniert vom Blauwassersegeln – aber dass sie diese Leidenschaft wirklich ausleben wollten, davon war bislang nie die Rede gewesen.

Es lag wohl an einem Buch, das meine Mutter kürzlich gelesen hatte. Darin ging es um eine Familie, die mit einem Segelschiff bis in die Karibik und wieder zurück gesegelt war. Meine Mutter begann zu träumen, zeigte das Buch meinem Vater und träumte mit ihm gemeinsam. Und nun fragten sie uns also, ob wir uns vorstellen könnten, gleich ein Jahr lang auf einem Segelschiff zu leben.

Auf zu neuen Ufern - ich war unsicher, ob das gut wird

Wir – das sind meine Eltern, meine beiden Brüder und ich. Mein älterer Bruder Lasse war am dem Tag gerade neun, mein jüngerer Bruder Torge fünf und ich selbst sieben Jahre alt. Die Jungs fanden, das war eine tolle Idee: weniger Schule, mehr Abenteuer. Ich hingegen war ziemlich unsicher und fand die Idee nicht ganz so gut. Würde ich meine Freundinnen, meine Familie und alle Menschen, die mir sonst noch wichtig waren, nicht fürchterlich vermissen? Was würde aus Aimo, unserem Hund, werden und aus meinen griechischen Landschildkröten, Asoka und Padme?

Eigentlich wollte ich, dass alles so blieb wie es war. Aber mir war auch klar, dass man nur selten die Gelegenheit hat, auf der halben Erdkugel mit einem Segelschiff unterwegs zu sein … Doch selbst die Argumente meiner Eltern wie „In der Karibik kannst du sogar mit Schildkröten schwimmen“, vermochten mich nicht zu überzeugen.

Meine Geschwister und ich auf den Azoren

Die Entscheidung: eine Familienangelegenheit

Mama und Papa wollten ihren Traum nicht so schnell aufgeben und sprachen immer wieder davon. Aber sie wollten mich auch nicht zu dieser Reise zwingen. Ich bat sie darum, in Ruhe darüber nachdenken zu dürfen. Meine Eltern gaben mir diese Möglichkeit und erwähnten ihren Traum solange nicht mehr. Endlich wurde ich ernstgenommen.

Eine Woche lang dachte ich intensiv über alles nach: über das Boot und darüber, was eine einjährige Auszeit für meine Freundschaften bedeuten würde. Vor allem aber musste ich auch daran denken, dass alle anderen von der Idee so begeistert waren. Dann nahm ich all meinen Mut zusammen: „Mama, Papa, wenn die Reise euer allergrößter Traum ist, dann komme ich mit.“. Meine Eltern hätten wohl am liebsten Luftsprünge gemacht. Eine Bedingung aber hatte ich: eine Erinnerung an meine Freunde im Bordgepäck.

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Die Vorbereitungen: eine passende Segelyacht finden

Gleich am nächsten Tag begann unsere Suche nach einem Schiff. Wir schauten uns ein paar Boote an und stellten schnell fest, dass es schwer ist, eines zu finden, das allen Anforderungen entspricht. Wir wünschten uns zum Beispiel einen absenkbaren Esstisch (Tipp aus einem der unzähligen Segelbücher meiner Mutter) und natürlich ausreichend Stauraum für eine fünfköpfige Familie.

Endlich hatten wir eines Tages unser Traumboot gefunden – ein Schiff, das selbst uns Kindern gefiel. Dennoch kauften meine Eltern es nicht gleich, sondern wir überlegten erst einmal: Ist dies wirklich das Boot, das wir suchen? Ein Boot, auf dem wir ein Jahr leben wollen? Unser Zögern erwies sich als großer Fehler: Ein anderer Interessent war entscheidungsfreudiger und schnappte uns das Boot vor der Nase weg. Sehr enttäuscht mussten wir nach einem neuen Gefährt Ausschau halten.

Unsere ANNE - eine Beneteau 423

Beim nächsten Mal waren wir schlauer. Wir besichtigten ein Boot, bei dem alles passte,sogar ein Hochbett hatte es – sehr zur Freude von uns Kindern. Es war genau DAS Boot, das wir suchten. Dieses Mal überlegten wir nicht lange, und meine Eltern kauften es sofort.

Jetzt fing die Planung der Reise erst so richtig an. Wir fuhren mehrmals nach Heiligenhafen, um unser Boot zu putzen. Es hieß NOORDZEE, und weil der Name unsnicht gefiel, tauften wir es in ANNE um. Doch es gab für die Reise noch weitaus mehr zu tun, als die ANNE auf Vordermann zu bringen. Zum Beispiel mussten der Schulalltag und das Leben an Bord geplant werden. Ein halbes Jahr brauchten wir, um die Reise vorzubereiten.

Schule an Bord

Die Abfahrt: auf in ein Segelabenteuer

Am 3. Juli 2014 sollte es dann endlich losgehen. Die ANNE lag bereits im Hamburger Hafen. Meine Eltern verstauten die letzten Sachen und dann verabschiedeten wir uns von einer Familie, die uns zum Boot begleitet hatte und uns versprach, uns während der Reise zu besuchen. Wir stiegen auf das Boot, legten ab und segelten los, den Wind im Rücken und begleitet von befreundeten Schiffen – und stürzten uns in ein fantastisches Abenteuer.

Es war gar nicht so anstrengend, wie ich es mir vorgestellt hatte, mit einer tagelangen Fahrt und furchtbaren Stürmen. Nein, wir fuhren nur Tagestörns und wir Kinder schliefen nachts im Bauch der ANNE. Vor meinem Geburtstag, dem 15. Juli, durfte ich selbst entscheiden, ob ich ihn an Land oder auf dem Meer feiern wollte. Ich entschied mich dafür, durch die Nacht zu segeln, damit wir dann am Geburtstagsmorgen im Hafen ankommen konnten. „Aye, aye, Kapitän!“, sagte meine Mutter zum Spaß. Und so liefen wir am nächsten Morgen in den ersten französischen Hafen, Cherbourg, ein.

Ein fliegender Fisch ist an Bord gelandet

Halbzeit: Zwischenstopp auf Martinique

Nach einem halben Jahr, also im Dezember, hatten wir bereits den Atlantik innerhalb von 23 Tagen überquert und waren in der Karibik angekommen – um genau zu sein, auf einer französischen Insel namens Martinique. Nur waren wir leider eine Woche später auf der anderen Seite des Atlantiks angelangt als die anderen Teilnehmer der Atlantic Odyssey Ralley von Jimmy Cornell und darüber sehr enttäuscht. Mein Papa hatte gesehen, dass ein Sturm aufziehen sollte, deshalb waren wir vorsichtshalber eine Woche später von den Kanarischen Inseln losgesegelt.

Der Tag, an dem wir ankamen, aber war ein ganz besonderer. „Mama, Papa, Land in Sicht, da ist Martinique“, sagte ich. Ich schaute durch das Fernglas und zeigte auf den kleinen grünen Punkt am Horizont. Da meldete sich unser Funkgerät zu Wort: „ANNE, ANNE für VIDA, bitte kommen!“. Eine kurze Pause und dann kam es wieder: „ANNE, ANNE für VIDA, bitte kommen!“. Jetzt nahm mein Vater das Gerät in die Hand und sprach: „Hallo VIDA, schön, dass Ihr noch da seid“. Angelika, eine Freundin unserer Familie, antwortete: „Wir sehen euch auf dem Bildschirm. Wir sind alle an eurem Anlegeplatz und nehmen eure Leinen an, denn der Hafen ist ziemlich voll.“ Noch zwei Stunden würde es dauern, um den Hafen zu erreichen, also machten wir schnell Schularbeiten und räumten das Boot ein wenig auf – Bordalltag!

Bordalltag - alle fassen mit an

Als wir in den Hafen einliefen, stand jeder auf seiner Position. Papa am Steuer, Mama an einer Leine und Lasse an einer anderen. Torge und ich hatten beide einen Fender in der Hand. Das Anlegen verlief wie immer problemlos – wir waren längst eine eingespielte Crew!

Die Highlights: Familienbesuche und Weihnachten an Bord

Noch ein paar Tage genossen wir zusammen mit der Gruppe aus der Segel-Rallye bei gemeinsamen Badeausflügen und feierten sogar einen Kindergeburtstag auf einem der Boote. Doch dann setzten wir unsere eigene Route fort. Mit an Bord: unser Opa, der inzwischen zu Besuch gekommen war.

Gemeinsam fuhren wir zum südlichsten Punkt unserer Reise, zur Insel Grenada. Am 24. Dezember wachten wir alle gemeinsam auf und erlebten einen Heilig Abend der etwas anderen Art: Wir segelten zum Tauchen in ein geschütztes Gebiet, in dem Wasserschildkröten lebten. Das Wasser war schön klar, so konnten wir die Schildkröten sehr gut beobachten. Am Abend aßen wir zur Feier des Tages Lobster.

Zusammen mit anderen Kindern der Rallye vor dem Start

Inselhopping: Tagestörns zu den Kleinen Antillen

Während der nächsten Monate fuhren wir immer nur kurze Tagestörns von einer Insel zur nächsten. Manchmal regnete es, aber meistens war es tagsüber angenehm warm. Jeden Morgen standen wir um sieben Uhr auf, frühstückten und machten dann Schularbeiten.

Morgens konnten wir uns besser konzentrieren, weil es noch nicht so warm und auf den anderen Booten noch nichts los war. Wenn es doch schon mal wärmer wurde und wir mit den Schularbeiten noch nicht fertig waren, gönnten wir uns eine kleine Badepause. Mit Taucherflossen, Tauchermaske und Schnorchel ausgestattet vergingen diese „großen Pausen“ wie im Flug.

So verbrachten wir die nächsten drei Monate in der Karibik, genauer gesagt, vor den Inseln der Kleinen Antillen. Mir gefielen eigentlich alle Inseln. Am spannendsten fand ich aber die einsamen und unbewohnten Inseln. Dort konnten wir Kinder ungestört spielen und das große Abenteuer in vollen Zügen genießen.

Schulpause: Mein Bruder Lasse beim Schnorcheln

Die Rückreise: über die Bahamas nach Hause

Doch wie bei jeder Reise mussten auch wir uns irgendwann auf den Rückweg machen. Es war schon April und wir wollten im September wieder in unserem „alten“ Leben ankommen. Also hieß es: Auf geht es zu den Bahamas!

Auf der Insel Great Exuma bekamen wir erneut Besuch: dieses Mal von meinem Onkel, meiner Cousine und meinem Cousin. Zusammen verbrachten wir 14 Tage auf den Bahamas. Weil es auf dem Schiff etwas eng wurde, waren wir oft am Land und unternahmen viele Ausflüge. Dabei haben wir schwimmende Hausschweine, Riffhaie und Leguane gesehen. So viel erlebten wir, dass uns die Zeit auf den Bahamas vorkam wie eine Ewigkeit, genauso wie bereits die ganze bisherige Reise.

Ich fahre gerne mit dem SUP am Ankerplatz

Dann aber begann er schließlich doch, der lange Rückweg bis nach Hause: Erneut ging es einmal über den Atlantik, mit Zwischenstopps auf Bermuda und den Azoren. Der Rückweg war leider nicht so ruhig wie der Hinweg. Es war ziemlich holprig und wir hatten hohe Wellen. Zudem wurde das Wetter immer ungemütlicher. Morgens war es so kalt, dass wir unsere Socken und die langen Hosen herausholen mussten. Wir wollten nur noch eins: Endlich ankommen.

Von den Azoren fuhren wir wieder nach Nordspanien in eine Stadt namens La Coruna. Wir hatten den Nordatlantik einmal komplett umsegelt und kreuzten nun genau nach einem Jahr zum ersten Mal unser Kielwasser.

Ausguck aus dem Mast

Von La Coruna aus segelten wir anschließend erneut über die Biskaya und schließlich wieder in den Hafen Cherbourg – genau am Tag vor meinem Geburtstag Der 14. Juli ist der Nationalfeiertag der Franzosen und es gab ein großes Feuerwerk. So konnte ich zum zweiten Mal meinen Geburtstag auf dem Schiff feiern.

Mein Bruder hat Spaß!

Die Ankunft: ein Abenteuer geht zu Ende

Am Mittag machten wir uns auf den restlichen Weg bis nach Hause. Und dann endlich, am 1. August 2015, kamen wir im Hamburger Hafen an. Unsere Freunde empfingen uns bei sonnigem Wetter. Meine beste Freundin war auch da, doch ich habe sie im ersten Moment gar nicht erkannt, denn auch sie hatte sich verändert. Und so schlossen wir unsere Reise glücklich und erfolgreich ab.

Unsere schöne Zeit geht zu Ende

Im Nachhinein finde ich die Idee vom Segeltörn also doch ganz gut, denn ich habe viel gelernt, viel erlebt und viel gesehen!

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Julian
Julian
5 Jahren her

Welches Buch hatte deine Mutter gelesen?