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Martin Finkbeiner ist gemeinsam mit seiner Familie seit 2018 auf den Meeren unterwegs, zunächst auf einem 30-Fuß-Monohull und inzwischen auf einem kleinen Katamaran. Ihre Route führt sie von Deutschland durch die französischen Flüsse und Kanäle, durch das Mittelmeer in den Atlantik und dann entlang der afrikanischen Westküste, bevor sie weiter über den Atlantik segeln. Martin, der von 2010 bis 2013 bereits einmal um die Welt gesegelt ist, arbeitet während der Segelreisen als Autor und ist zwischen den Reisen auch als Referent auf Messen und Veranstaltungen unterwegs.
Patagonien ist ein faszinierendes Segelrevier
Langsam schiebt sich die ARACANGA durch die Stromschnellen der Einfahrt in die San-Rafael-Lagune. „Eis, Eis! Danke, ARACANGA. Danke, dass du uns hierhergebracht hast“, vor Freude kreischend und schreiend stehen unsere Kids am Bug und zeigen auf den riesigen Gletscher, der in diesem Moment vor uns auftaucht. Seit sie sprechen können, reden die beiden davon, Schnee sehen zu wollen. Unsere Begeisterung ist mindestens genauso groß wie die der Mädchen. Beim Anblick des scheinbar undurchdringlichen Treibeises zwischen uns und dem Gletscher schwingt jedoch eine gewisse Anspannung mit.
Knapp fünf Monate sind wir bereits in Chile, als wir den San-Rafael-Gletscher erblicken. Seitdem liegen 1.000 Seemeilen kreuz und quer durch zahlreiche nordpatagonische Kanäle, Fjorde und Ankerbuchten im Kielwasser der ARACANGA. Der Gletscher markiert das Ziel unseres ersten südlichen Sommers in einem Segelrevier, das uns in so vielerlei Hinsicht immer wieder aufs Neue begeistert und überrascht hat. Wir sind überwältigt von der kolossalen Schönheit. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, den Gletscher auf eigenem Kiel zu erreichen. San Rafael ist der Höhepunkt der Saison, und doch hat Patagonien neben Schnee und Eis noch so viel mehr zu bieten.
Patagonien ist ein riesiges Seegebiet
Patagonien bezeichnet den geografischen Süden Südamerikas, das Gebiet südlich der Flüsse Rio Colorado in Argentinien und Rio Bio-Bio in Chile, grob ausgedrückt alles südlich des 38. Breitengrades. Der argentinische Südosten, die Pampa, ist eine große, flache Graslandschaft, im chilenische Westpatagonien hingegen ist das Landschaftsbild geprägt von schneebedeckten Andengipfeln. Die West- und die Südküste Patagoniens, grob gesagt das Revier rund um Magellanstraße und Beagle-Kanal bis zur etwa 1.000 Seemeilen nördlich gelegenen chilenischen Stadt Puerto Montt, ist ein zerklüftetes Labyrinth aus Fjorden, Kanälen und Inselchen.
Mit anderen Worten: Patagonien ist riesig und selbst in einem ganzen Seglerleben wird man es kaum schaffen, jeden Kanal zu besegeln und in jeder Bucht zu ankern. „Strecke machen“, so lautet das Motto der meisten Fahrtensegler in der Region. Die schönen Tage sind rar und die gesamte Distanz, möchte man in einer Saison von Nord nach Süd und auf der anderen Seite wieder nach Norden, bleibt wenig Zeit zum Trödeln.
Wir wählen einen anderen Ansatz und nehmen uns mindestens zwei Saisons Zeit, die ungezähmte Schönheit Patagoniens kennenzulernen. Nach einigen Jahren in den Tropen sind wir deren etwas müde geworden und das raue Klima, die beeindruckende Tier- und Pflanzenwelt sowie das spektakuläre Panorama wirken wie eine belebende Droge auf uns. In unserem ersten Südsommer segeln wir über 1.000 Seemeilen kreuz und quer zwischen Chiloé, der Festlandküste und den südlich angrenzenden Chonos-Inselarchipel. Das Revier ist so viel mehr als nur eine Transitstrecke mit guten Wind- und Wetterbedingungen zu Beginn oder Ende eines Patagonientörns. Manch einer bezeichnet die Gegend rund um Chiloé gar als eines der besten Segelreviere der Welt.
In diesem Beitrag beschreiben wir den nördlichen Teil Patagoniens, das Gebiet rund um die Insel Chiloé und den Chonos-Inselarchipel. Es geht um Navigation und Ankerplätze, Natur und Kultur, Wind und Wetter, Planung und Ausrüstung.
Die Anreise nach Patagonien
Es ist Dezember. Wir sind auf der Osterinsel, einem der geografisch gesehen isoliertesten Orte der Welt. Von hier aus setzen wir Kurs in Richtung Puerto Montt. Nach drei Wochen auf See taucht eine blasse Bergkette schneebedeckter Andengipfel am Horizont auf. Wir erblicken zum ersten Mal den südamerikanischen Kontinent, der uns mit all seiner Magie in den kommenden Monaten voll in seinen Bann ziehen soll.
Zur Begrüßung sehen wir den Blas eines mächtigen Wals an Steuerbord. Die zahlreichen Albatrosse und Sturmvögel der letzten Tage werden rarer, je näher wir dem Festland kommen, dafür tauchen mehr und mehr Küstenvögel wie Möwen und Kormorane auf.
Wind- und Wetter beim Segeln in Patagonien
Mittlerweile haben wir Anfang Januar, Hochsommer auf der Südhalbkugel. Patagonien liegt ganzjährig im Einflussbereich starker Westwinde, die südlich von Kap Hoorn die Erde ungebremst umwehen. Im Sommer sorgt das südpazifische Hochdruckgebiet für angenehmes Wetter im nördlichen Teil Patagoniens, also rund um die Insel Chiloé, in dessen Norden der Chacao-Kanal liegt, und im südlich davon gelegenen Chonos-Inselarchipel. Das Hoch lenkt den Westwind in dieser Region nach Norden ab und bringt schönes, trockenes Wetter, was die Gegend zu einem idealen Segelrevier im südlichen Sommer macht.
Südlich des Chonos-Archipels weht es das ganze Jahr über kräftig aus Nordwest. Im Sommer regnet es deutlich mehr als im Norden. Weit im Süden des Kontinents beeinflusst außerdem das Antarktische Hochdruckgebiet das Klima. Die Winter rund um Ushuaia und Puerto Williams ganz im Süden Patagoniens sind kalt und windig, dafür trockener und schöner als in den nördlicher gelegenen Gebieten.
Durch den Canal Chacao nach Puerto Montt
Wir beschließen, bei Niedrigwasser in den berüchtigten Chacao-Kanal einzufahren, um Puerto Montt zu erreichen. Das heißt: eine Stunde Schlaf und los. Die Maschine läuft. Ein kurzer Funkruf zum Leuchtturm und wir sind unterwegs. Die Strömung ist trotz mittlerer Tide und Flaute enorm, Strudel und Verwirbelungen zerren unsere ARACANGA unberechenbar mal nach Backbord, mal nach Steuerbord. Am Ende des Kanals, wo sich die Strömungen beider Inselseiten treffen, baut sich eine stattliche Welle auf, hier möchten wir nicht bei Springtide und viel Wind durch.
Wir motoren in den Sonnenaufgang und in eine magische Kulisse schneebedeckter Andengipfel. Endlich klettert die Sonne über die Berge und beginnt zu wärmen, Schicht für Schicht können wir die Klamotten ablegen. Wir tuckern durch eine malerische Landschaft aus kleinen bewaldeten Inselchen. Steile Küsten und Sandstrände wechseln sich ab, während Fischer auf farbenfrohen Fischerbooten ihrer Arbeit nachgehen. An Backbord tauchen zwei Seelöwen auf. Wir sind verzaubert von all den neuen Eindrücken. Als wir gegen späten Nachmittag die Leinen in Puerto Montt festmachen, sind wir glücklich und zufrieden.
Die Ausrüstung und die Vorbereitung fürs Segeln in Patagonien
Vor dem langen Törn nach Süden – von Panama via Galapagos und der Osterinsel nach Patagonien – bereiteten wir die ARACANGA in Mittelamerika für die Zeit im Kalten vor. Bereits damals spielten wir mit dem Gedanken, mehr als nur einen Sommer im Kalten zu bleiben und bauten eine dementsprechend groß dimensionierte Hydronische Heizung ein. Fünf Radiatoren, wir zweckentfremdeten Autokühler hierzu, verteilen die Wärme unter Deck. Auch der Warmwasserboiler ist in das Heizungssystem integriert, ebenso die Maschine, um einerseits die Motorwärme zum Heizen zu nutzen oder um an besonders kalten Tagen die Maschine vorzuwärmen.
Unterschätzt haben wir das Thema Isolierung. Fehlende Isolierung mit einer größeren Heizung zu kompensieren ist, wie wir gelernt haben, nur bedingt hilfreich, denn nicht die Kälte ist das Hauptproblem, sondern der Taupunkt. Kondensiert das Wasser an kalten Oberflächen unter Deck, zum Beispiel auf der Unterseite der Laufdecks, kann auch eine größere Heizung kaum etwas dagegen ausrichten, schon gar nicht, wenn sie nicht permanent läuft. Um der Feuchtigkeit Herr zu werden, versuchten wir, so viele Kältebrücken wie möglich zu eliminieren. Bei Fenstern und Luken wirkt es Wunder, diese mit einer stabilen Plastikfolie zu „doppelverglasen“ die großen Fensterflächen des Decksalons isolierten wir von außen mit Hilfe von zurechtgeschnittenen Isomatten.
Außerdem ersetzten wir das Niedergangsschott durch eine Sperrholztür, die sich in die Schiene des Schotts einfädeln lässt. Somit ist der Niedergang zwar etwas enger, dafür bleibt die kostbare Wärme unter Deck. Das Cockpit bekam Seitenteile, für die kommende Saison werden wir noch einen achterlichen Abschluss anbauen und somit ein rundum geschlossenes Cockpit haben.
Grundsätzlich ist es mit fast jedem Boot möglich, die patagonische Inselwelt zu besegeln, vom offenen Katamaran bis hin zur 60-Fuß-Expeditionsyacht sehen wir hier unterschiedlichste Bootstypen. Ein größeres Augenmerk gilt der Ausrüstung. Es stellt sich die Frage, wie lange und ausgiebig man das Revier besegeln möchte. Für einen Sommer im Norden Patagoniens kann man zur Not auf eine Heizung verzichten, für längere Törns im Süden steigert eine umfangreichere Ausrüstung das Wohlbefinden an Bord ungemein.
Apropos ein Sommer im Norden Patagoniens: Dieses Revier lässt sich prima in eine Weltumsegelung einbinden. Die meisten Crews auf Langfahrt verbringen mindestens eine Hurrikan-Saison in der Karibik. Wieso nicht während dieser Zeit den Panamakanal durchqueren, etwa Ende September, Anfang Oktober, und anschließend via Galapagos und der Osterinsel nach Süden segeln? So erreicht man Chile im dortigen Hochsommer und hat ein paar Monate Zeit, Patagonien zu erkunden und rechtzeitig zur Südseesaison zurück in die Tropen zu segeln. Abgesehen von zwei langen Landleinen benötigt man für diese Option kaum zusätzliche Ausrüstung. Dazu aber später mehr.
Puerto Montt und die Fjorde auf der Festlandseite
Puerto-Montt im Norden des Golfs von Ancud ist ein idealer Ausgangsort, die Region zu erkunden. Hinter der vorgelagerten Insel Tengelo gibt es zwei Marinas und geschützte Ankermöglichkeiten. Das Einklarieren ist schnell und effizient und liegt man in einer der Marinas, werden die Besuche der Offiziellen für einen organisiert.
Etwaige zusätzliche Ausrüstung wie lange Landleinen sind in Puerto Montt günstig verfügbar und auch sonst ist die Stadt der beste Ort weit und breit, um am Boot zu arbeiten. Es empfiehlt sich, sämtlichen Proviant sowie Wasser und Diesel hier zu bunkern, denn je weiter die Reise nach Süden geht, desto teurer wird alles. Zuletzt holt man sich bei der Armada eine Zarpe, die offizielle Befahrenserlaubnis, und es kann losgehen.
In unmittelbarer Nähe der Stadt Puerto Montt gibt es zahlreiche sichere Ankerbuchten. Die Navigation bei Nacht oder Nebel ist aufgrund der vielen Fischerbojen sowie wegen der Muschel- und Fischfarmen im Golf von Ancud nicht zu empfehlen.
Bei einem Tagestörn südlich von Puerto Montt bekommen wir einen ersten Eindruck der wilden Natur Patagoniens: Tief ins Festland einschneidende Fjorde und bis zum Ufer bewaldete Inseln mit zahlreichen Quellen und Wasserfällen bestimmen das Landschaftsbild. Seelöwen sind ständige Begleiter der ARACANGA und regelmäßig kreuzt eine Schule Delfine unseren Bug. Der Höhepunkt des Tages sind aber andere Tiere: Zum ersten Mal sehen wir Pinguine, zunächst nur einzelne Tiere in weiter Entfernung, kurz darauf eine ganze Gruppe, springend, als wollten sie die Delfine imitieren, direkt neben dem Boot. Die Kinder stehen mit großen Augen jubelnd an der Reling.
Unser Tagesziel ist der Fjord Estero Cahuelmo mit seinen heißen Quellen. Wind und Wetter zwingen uns allerdings zu einer Planänderung und zum ersten Mal liegen wir vor Buganker mit langen Heckleinen. In den nächsten Monaten sollen diese noch häufig zum Einsatz kommen, denn einige Ankerplätze sind so eng, dass nicht genügend Raum zum freien Schwoien bleibt, außerdem ist es ein gutes Gefühl, gerade bei Starkwind zusätzlich zum Anker an mehreren Punkten an Land gesichert zu sein.
Als Landleinen bieten sich Schwimmleinen aus Polypropylen an, diese sind günstiger und deutlich einfacher auszubringen als schwere Festmacherleinen. Zudem ist die Gefahr, die Leinen in die Schiffsschraube zu bekommen, geringer. Stauen lassen sich die Festmacher in Säcken, in Körben oder auf Rollen.
Zwei mal 100 Meter Leine sollten mindestens an Bord sein, wir haben insgesamt vier mal 100 Meter, zwei Rollen mit je 25-mm-Leinen und zwei Säcke mit 18-mm-Leinen. Die Säcke haben den Vorteil, dass man sie auch ins Dingi nehmen und bei Bedarf schon vor dem Ankermanöver eine Landleine vorbereiten kann.
Tipp: Eine lange, um die Hüfte gebundene Dingileine sorgt für freie Hände beim An-Land-Klettern und Festknoten der Landleinen, was nicht immer so einfach ist, wie man denkt. Dimensioniert man beim Ausbringen der Leinen die Palsteks um die Bäume so groß, dass man diese auch bei Ebbe direkt vom Beiboot aus lösen kann, erleichtert dies das Ablegemanöver sehr.
Nächster Stopp: Die Insel Chiloé
Die Insel Chiloé, die Fjorde auf der Festlandseite sowie die vielen kleinen Inselchen im dazwischenliegenden Golf von Ancud sind Segelparadiese. Im Gegensatz zum Süden Patagoniens ist man hier nicht komplett abgeschnitten von jeglicher Zivilisation, neben wilder Natur gibt es hier auch einige Ortschaften, die Möglichkeit sich zu verpflegen sowie ein gewisses kulturelles Angebot. „Nehmt euch Zeit für diese Gegend“, diesen Tipp eines befreundeten Seglers nehmen wir uns zu Herzen und können ihn genau so weitergeben.
Die Insel Chiloé ist nach Feuerland, das jedoch zur Hälfte zu Argentinien gehört, die zweitgrößte Insel Chiles. Sie ist 100 Seemeilen lang und bis zu 35 Seemeilen breit. Im Norden trennt die Insel besagter schmaler Kanal Chacao vom Festland, im Süden liegen der Golf von Corcovado und der Chonos-Inselarchipel. Die Gewässer rund um Chiloé sind bekannt für ihre Vielfalt an Meerestieren. Zahlreiche große Walarten wie Blau-, Finn- oder Seiwale werden hier je nach Jahreszeit häufig gesichtet, außerdem leben Orcas, Tümmler, Chilenisch- und Australdelfine, Seelöwen, Otter und Pinguine im und um den Golf von Corcovado.
Die Insel selbst ist schon lange Zeit vor der Ankunft der Europäer besiedelt, indigene Völker wie die Guaitecos und die Mapuches leben hier seit 7.000 Jahren. Die heutige Inselhauptstadt Castro wurde 1567 von den Spaniern gegründet. Deren Name Neugalicien für die Insel hat sich nicht durchgesetzt, Chiloé kommt aus der Sprache der Mapuche und bedeutet Ort der Möwen. Heute ist die Insel neben ihrer überwältigenden Naturkulisse bekannt für die traditionellen Pfahlbauten, Palafitos genannt, sowie die zahlreichen Holzkirchen, von denen 16 zum Weltkulturerbe erklärt wurden.
Größere Ortschaften und kleine Dörfer wechseln sich entlang der Ostküste der Insel sowie auf den vorgelagerten Inselchen mit unberührten Ankerbuchten ab. Lediglich die zahlreichen Fisch- und Austernfarmen machen die Navigation und die Wahl eines Ankerplatzes manchmal etwas mühsam. Wo der Cruising Guide einen wunderbaren Ankerplatz verspricht, kann heute eine Muschelfarm den Weg in die Bucht versperren oder andersrum.
Die Blaue Bibel ist ein hilfreicher Revierführer
In meinen Augen ist der beste Revierführer der „Patagonia & Tierra del Fuego Nautical Guide“, unter den Seglern schlicht als die Blaue Bibel bekannt. Dieses Buch sollte auf keinem Patagonientörn fehlen. Allerdings ist die neueste Ausgabe, die 3. Auflage, knapp 10 Jahre alt und nicht mehr topaktuell. Trotzdem: Auf über 700 Seiten ist das Buch ein Schatz an Informationen. Das Herzstück des Revierführers ist die Beschreibung unzähliger Ankerplätze, die dennoch nur einen Bruchteil der Möglichkeiten darstellen. Das komplette Revier in einem Buch abzubilden, ist schier unmöglich. Zahlreiche Informationen finden sich auch in der App „Noforeignland“.
Der Chonos-Archipel
Südlich der Insel Chiloé und des Golfs von Corcovado, der idealerweise bei mitlaufender Tide und ruhigen Wetterbedingungen überquert wird, befindet sich ein wahrhaftes Labyrinth an Inseln und Kanälen: der Chonos-Archipel. Streng genommen beschreibt der Name nur die Inseln westlich des Hauptkanals, wir wollen jedoch nicht kleinlich sein und beziehen auch die Kanäle und Inselchen auf der Festlandseite mit ein.
Von Chiloé sind es etwa 30 Seemeilen nach Süden, um direkt in die Inselwelt zu kommen, oder ein paar Seemeilen mehr für einen lohnenden Abstecher in Richtung Festland: Die Inselgruppe Juan Yates, auch Tic Toc genannt, und der südlich davon gelegene Kanal Refugio sind definitiv ein Highlight unseres Sommers.
Manche Dinge werden wir nicht müde zu betrachten. Dazu gehören Lagerfeuer, Berge und Meer. Juan Yates ist die ideale Mischung daraus. Bei bestem Wetter verbringen wir ein paar Tage in der aus zahlreichen Felsen und Inselchen bestehenden Lagune, beobachten die Magellanpinguine, spielen mit den Delfinen, die gar nicht genug davon bekommen, uns im Dingi nasszuspritzen, und können gar nicht fassen, an welch wunderbarem Ort wir uns befinden. Mittlerweile ist es Spätsommer und an der Zeit, ankerauf zu gehen. Wir planen in ähnlich entspanntem Tempo weiterzusegeln und noch möglichst viel zu sehen.
Ein kurzer Exkurs zum Thema Tankkapazitäten
Hier müssen wir kurz einhaken. Die Wortwahl „weitersegeln“ sowie die etwas weiter oben im Text beschriebenen „1.000 gesegelten Seemeilen“ sind eine knallharte Übertreibung, denn nicht selten läuft die Maschine. Schmale Kanäle mit Gegenwind, Tidenströme von mehreren Knoten und manche Flaute zwingen uns häufiger, als uns lieb ist, zu motoren. Entsprechend groß bemessen wir unsere Dieselvorräte. Normalerweise sind wir keine Freunde von Kanistern an Deck, in Patagonien führt kaum ein Weg daran vorbei. Insgesamt haben wir Diesel für 200 Motorstunden an Bord, was sich bewährt, denn Diesel ist im spärlich besiedelten Patagonien rar und oftmals teuer. Für einen Törn von Puerto Williams nach Norden verlangt die Armada offiziell, 800 Liter Dieselvorräte an Bord zu haben.
Das Thema Wasserkapazität ist weniger kritisch, zum einen haben viele Fahrtenyachten ohnehin einen Wassermacher an Bord, außerdem plätschert in fast jeder Ankerbucht eine Quelle oder ein Wasserfall mit reinstem Trinkwasser ins Meer.
Außerdem benötigen die meisten Yachten Gas zum Kochen und/oder Heizen. Selten gibt es die Möglichkeit, Gasflaschen mit ausländischen Ventilen zu füllen. Wir haben stattdessen einen chilenischen Adapter installiert und zwei lokale Flaschen besorgt, was die Beschaffung deutlich einfacher und günstiger macht.
Weiter geht es nach Süden
Via der Ortschaft Raul Marin tuckern wir zwischen den steilen Felsen des Kanal Refugio weiter nach Süden. Haben wir rund um Chiloé unsere langen Landleinen selten gebraucht, sind sie hier immer häufiger im Einsatz. Es ist zwar viel Arbeit, diese auszubringen und wieder einzuholen, wir sehen es jedoch als lohnende Investition für ruhigen Schlaf.
Es bewährt sich beim Manöver, die ARACANGA bei langsamer Vorwärtsfahrt zu verankern, die Kette kurz vor dem anvisierten Ankerplatz straff kommen zu lassen und mit Ruder hart Backbord in die passende Position zu schwingen. Währenddessen kuppeln wir rückwärts ein und mit dem Radeffekt, der das Heck weiter nach Steuerbord zieht, lässt sich das Schiff auch bei Wind und Strömung gut halten, bis die Luv-Landleine ausgebracht ist. Danach ist alle Zeit der Welt, eventuell weitere Leinen auszubringen und uns händisch in die gewünschte Position zu bringen. Ist die Bucht zu eng, das Schiff wie beschrieben zu drehen, muss es klassisch rückwärts klappen.
Nach zwei Nächten im Kanal Refugio sehen wir ein stattliches Tief auf uns zukommen, Zeit eine sichere Bucht aufzusuchen. Nah am Ufer und mit drei Leinen gesichert sind wir fast eins mit der Küstenlinie. Während es draußen mit 50 Knoten bläst und weiße Schaumkronen das Wasser aufpeitschen, weht der Wind über uns und das nahe Ufer hinweg und nicht einmal unser Windgenerator dreht sich.
Für die nächsten Tage sind 5 Knoten Grundwind, in Böen 35 Knoten vorhergesagt. Solche Vorhersagen sind häufig und entsprechend vorsichtig planen wir unsere Route. Einen Plan B und C zu haben und auf plötzliche Wetteränderungen schnell reagieren zu können, ist beim Segeln in Patagonien unerlässlich. Der Wind legt zu und steht gegen den Strom, eine kurze, steile Welle macht jedes Vorankommen unmöglich. Und so finden wir uns am Abend nicht wie geplant in einer abgeschiedenen Ankerbucht im Kanal Puyuhuapi wieder, sondern an einer kräftigen Fischerboje in Puerto Cisnes auf der Festlandseite des Kanals. Festland, das bedeutet bezahlbare Preise und die ungeplante Möglichkeit, unsere Dieselvorräte aufzutoppen.
Der Chonos-Archipel verzaubert uns aufs Neue. War Chiloé noch besiedelt, bekommen wir hier einen ersten Eindruck der Weite und Wildnis des Südens. Unser Ziel für diesen Sommer ist die San-Rafael-Lagune im Süden des Archipels. Der gleichnamige Gletscher beschreibt das Ende einer langen Sackgasse, weswegen er von vielen Seglern links liegen gelassen wird. Die ungezähmte Natur zieht uns voll in ihren Bann. Fast in jeder Bucht werden wir von Australdelfinen oder den etwas kleineren chilenischen Delfinen begrüßt, regelmäßig beobachten wir Pinguine und immer sind wir alleine am Ankerplatz. Sähen wir nicht hin und wieder eines der farbenfrohen Fischerboote, wir würden meinen, die einzigen Menschen auf diesem Planeten zu sein.
Mal begleitet uns eine Schule Orcas, mal zieht eine Buckelwalkuh mit ihrem Kalb an unserer Seite vorbei. Hin und wieder landet ein Eisvogel oder ein Caracara – ein hier weit verbreiteter Falke – auf der Saling und lässt sich ein Stück mittragen. An den flachen Felsen am Ufer tummeln sich Seelöwen und die etwas kleineren Seehunde. In den Kanälen schwimmen sie neugierig um unser Boot, strecken ihre Köpfe aus dem Wasser und beobachten uns aufmerksam. Hoch über uns ziehen große Geier ihre Kreise – ob es der mächtige Andenkondor ist oder ein kleinerer Artgenosse, lässt sich aus der Ferne nicht sagen. Majestätisch wirken sie in jedem Fall.
Der San-Rafael-Gletscher
Die San-Rafael-Lagune ist das südlichste Ende des Estero Elefantes, einer Sackgasse, der nur wenige Seemeilen fehlen, um den nördlichen Teil Patagoniens mit dem Süden zu verbinden. Wie geplant motoren wir genau zu Stillwasser durch die Engstelle in die Bahia San Rafael, die große Bucht vor der eigentlichen Lagune. Das Wasser ist flach und nur am äußeren Rand befahrbar, dort sorgen die mit jedem Ebbstrom aus der Lagune gespülten Eisstücke für mehrere Meter Wassertiefe im Kanal. Die Bucht endet mit der Einfahrt in den Rio Tempanos, was übersetzt Eisbergfluss bedeutet. Wir befahren den Fluss bei auflaufendem Wasser, um keine Angst vor entgegenkommendem Eis haben zu müssen. Im flachen Wasser sehen wir gestrandete Grower und Bergy Bits, wie die kleineren Bruchstücke von Eisbergen genannt werden.
Wenige Seemeilen flussaufwärts mündet der Rio Los Patos in den Rio Tempanos, ein schmaler Fluss mit kaum Strömung und Eis, der einen sicheren Ankerplatz verspricht. Der eisblaue Tempanos und der kaffeefarbene Los Patos grenzen sich entlang einer scharfen Kante mit Strudeln und Verwirbelungen klar voneinander ab. Unsere ARACANGA wird mit Wucht nach Steuerbord gedrückt, dann schwimmen wir im Rio Los Patos – einem Fluss, der kaum breiter wirkt als die Länge unseres Bootes. Wir motoren wenige hundert Meter flussaufwärts, wenden und ankern flussabwärts zeigend. Der Hauptanker sowie drei Landleinen, eine nach vorne Steuerbord und zwei am Heck, halten uns bei Wind und Wetter sicher an Ort und Stelle und frei von eventuell angespültem Eis.
Die Landschaft ist flach, voller Sumpfgras auf der einen und bewaldet auf der anderen Seite. Der morastige Untergrund und die ausgewaschenen Ufer erschweren es, bei Ebbe mit den langen, schweren Leinen an Land zu klettern und geeignete Bäume zu finden, die 20 Tonnen unserer ARACANGA sicher zu halten.
Einen Tag bleiben wir wegen des schlechten Wetters am Ankerplatz, dann motoren wir die restlichen drei Seemeilen in Richtung San-Rafael-Lagune. Beim Anblick des scheinbar undurchdringlichen Treibeises zwischen uns und dem Gletscher am Fuß der Lagune schwingt eine gewisse Anspannung mit. Aber je weiter wir fahren, desto mehr Lücken tun sich auf und nach und nach finden wir nicht nur einen Weg zum Gletscher, sondern auch Spaß an der Navigation durchs Eis. Es knackt und klirrt und an den größeren Bergy Bits plätschert das Schmelzwasser silbern in kleinen Rinnsalen ins Meer. Das Eis um uns herum schimmert in den verschiedensten Formen und Blautönen, von kräftigem Azur über Himmelblau und Türkis bis hin zu stählernem Eisblau. Es ist pure Magie für alle Sinne. Wir stellen den Motor ab, beobachten, staunen und lassen die Szenerie auf uns wirken.
Um näher an den Gletscher zu kommen, drehen wir eine Runde im Dingi. Wie im Labyrinth geht es um kleine Eisberge, die vom Beiboot aus noch imposanter aussehen, und durch die Lücken im Treibeis in Richtung Gletscherzunge. „Schau mal, ein Seelöwe“, meint Tochter Kira und zeigt aufs Wasser. Aus etwa hundert Metern Entfernung beobachten uns neugierige Augen. Wir fahren langsam, das Tier kreuzt unseren Kurs. Es ist riesig, streckt immer wieder den Kopf aus dem Wasser und lässt uns nicht aus seinem Blickfeld. Als es nur wenige Meter vor dem Beiboot vorbeischwimmt, erkennen wir eine flache Schnauze, ein großes Maul und markante Tüpfel auf dem Fell: Das ist ein Seeleopard, kein Seelöwe! Im Dingi, nur wenige Zentimeter über der Wasseroberfläche sitzend, fühlt man sich in so einem Moment sehr verwundbar. Gleichzeitig schwingt eine grenzenlose Faszination mit, einem solchen Tier in freier Wildbahn begegnen zu dürfen.
Die Tage vergehen im Fluge und schon bald ist es an der Zeit, den Rückweg zu unserem Ankerplatz anzutreten. „Aber vorsichtig, Papa. Nicht Eisbrecher spielen.“ Ganz vermeiden lässt es sich nicht. Wir durchqueren zwei Felder mit Treibeis, lassen die Maschine im Standgas laufen und schieben so langsam das Eis aus dem Weg. Nicht rückwärts einkuppeln, so lautet die Regel. Bei Vorwärtsfahrt schützt der Kiel die direkt dahinter sitzende Schraube, bei Rückwärtsfahrt kann sich Eis zwischen Rumpf und Schraube klemmen und so größeren Schaden verursachen. Das zehntausend Jahre alte Gletschereis ist hart wie Stein.
Fazit zum Segeln in Patagonien
Wir sind verliebt. Mittlerweile liegt die ARACANGA sicher vertäut in der zweitsüdlichsten Marina der Welt, der Marina Austral in Puerto Aguirre, etwa 100 Meilen nördlich der San-Rafael-Lagune. Hier bleibt sie über den Winter, bevor es dann wieder „Kurs Süd“ heißt. Puerto Williams ist unser Ziel für die nächste Saison. Und wir schließen nicht aus, die Zeit in Patagonien im Anschluss daran noch einmal zu verlängern.
Lieber Martin,
ich selber habe einmal Kap Horn – Pt. Williams – Pt. Montt und ein Jahr später Valparaiso – Pt Montt – Pt Williams hinter mir.
Ein sehr schöner Bericht der mich abermals ins Schwärmen für diese Traumregion bringt. Ich freue mich auf Euren Bericht nächstes Jahr Richtung Pt Williams. Ihr werdet begeistert sein.
Fair Winds & Following Seas,
Klaus